Als in Sursee Frauenträume platzten – Von «Frauen-Ghettos» und «Nur-Hausfrauen»
Das Surseer Zentrum für Frauenförderung (Sufra) hatte Modellcharakter. Doch daraus wurde nichts. «Von Frauen versenkt», hielten damalige Kommentatoren nach dem Schiffbruch an der Gemeindeversammlung 1993 fest.
Es wäre ein Novum gewesen – in der Region, in der Zentralschweiz. Gar das Schweizer Fernsehen interessierte sich 1993 plötzlich für das beschauliche Städtchen auf der Luzerner Landschaft, wo die Forderung nach einem Frauenzentrum im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses stand. Doch die Surseer Frauenförderung (Sufra) erlitt Schiffbruch. 307 Nein-Stimmen versetzten der Vorlage an der Gemeindeversammlung vom 28. Juni den Todesstoss – bachab geschickt «von einer Mehrzahl Frauen», wie es in den Zeitungsspalten damals hiess. Doch von vorne.
Initiiert als Projekt zur «Förderung der Frau in Beruf und Gesellschaft», verfolgte die Sufra von Beginn weg ambitionierte Ziele. Versteckte oder offensichtliche Barrieren sowie gesellschaftliche Ausschlussmechanismen sollte die Sufra für die Frauen einebnen. Das Frauenzentrum verstehe sich als «etwas aussergewöhnliches Bildungs- und Begegnungszentrum», das die Frauen am besten fördern könne, zeigte sich der Stadtrat in seiner Botschaft an die Bevölkerung überzeugt. Aktive Frauenförderung dank Information, Koordination, Beratung und Weiterbildung, so das Credo der Sufra. Aus- und Weiterbildungsangebote für Frauen gab es bereits damals bei der Erwachsenenbildung. Diese beurteilte die Arbeitsgruppe unter der Leitung der damaligen Finanzvorsteherin Margrith Fischer jedoch als unzureichend.
Frauen ohne Männer
Das «etwas aussergewöhnliche» Frauenzentrum richtete sich ebenso an Hausfrauen wie an berufstätige, alleinerziehende oder ehrenamtlich tätige Frauen. Nur in speziellen Fällen sollte das Zentrum Männern offenstehen. Ein folgenschwerer Entscheid, wie sich zeigen sollte.
Kurse in Kommunikation und Arbeitsmethodik, Führungs-, Gesundheits-, ja gar Selbstverteidigungsseminare gehörten zum Leistungsauftrag der Sufra. In der alten Liegenschaft der Bäckerei Stocker an der Bahnhofstrasse 6 sollte das Frauenzentrum realisiert werden. Kostenpunkt für die Betreibung: jährlich 168’000 Franken. Hinzugekommen wären 110’000 Franken für die Sanierung und den Umbau der Liegenschaft. Über den 10-Jahres-Kredit von 1,8 Mio. Franken hatte die Bevölkerung an der ausserordentlichen Gemeindeversammlung vom 28. Juni 1993 zu befinden. Im Herbst sollte das Frauenzentrum seine Türen öffnen.
«Frauen-Ghettos» in Sursee
Doch dazu kam es nicht. Der Surseer Frauenförderung schlug früh ein eisiger Wind entgegen. In der Region fehle das Bedürfnis, zu wenig Abklärungen seien im Vorfeld gemacht worden, monierten die Gegner – unter ihnen gleichermassen Surseerinnen wie Surseer. Die Sufra wurde zum Stammtischgespräch. Von einer «Ausgrenzung der Männer» war die Rede, von einem «Frauen-Ghetto» und von der Untergrabung der «Nur-Hausfrauen». Fast geschlossen standen dagegen die Parteien hinter dem Anliegen. Nur die Liberale Partei Luzern (LPL) fasste vor der Gemeindeversammlung mit 13:8 Stimmen die Nein-Parole.
An der Gemeindeversammlung vom 28. Juni dann der Showdown. 569 Stimmberechtigte warfen drei Stunden lang ihre Argumente für oder gegen das Frauenzentrum in die Waagschale – so viele, wie seit der Abstimmung über die Erweiterung des Surseeparks 1984 nicht mehr. Ein Blick in die Berichterstattung über die Gemeindeversammlung lässt die Anspannung der Votanten erahnen:
20 Uhr. Die Tuchlaube im Rathaus verkraftet den Ansturm nicht. Stadtpräsident Remo Casserini schickt Hunderte von Frauen (eher in der Mehrzahl) und Männer auf Wanderschaft Richtung Stadthalle. Vor dem Eingang zum Nordsaal staut sich die Kolonne, drinnen werden zusätzliche Stühle angeschleppt.
21.15 Uhr. Die Versammlung applaudiert, tut dies in der Folge nach jedem Votum – ob pro oder kontra. Otto Beck spricht als nächster. Er schliesst seine Ausführungen mit «Weiterbildung ja, aber sicher nicht mit Steuergeldern» und erntet dafür auch Buh-Rufe.
22 Uhr. Nationalrat Theo Fischer sieht die Weiterbildung als griffige Massnahme gegen die Arbeitslosigkeit und stellt fest: «Ohne den Mut, neue Projekte in Angriff zu nehmen, kommen wir nicht weiter.» Die Aussage von Otto Beck bezeichnet er als «Beleidigung für die Frauen». Auch Frauen seien Steuerzahler.
23 Uhr. Die Diskussion ist erschöpft. Stadtammann Wagemann fordert die Versammlung auf, sowohl den Antrag auf Urnenabstimmung wie auch jenen auf geheime Abstimmung abzulehnen. Während ersterer deutlich scheitert, schafft der zweite mit 142 Stimmen den nötigen Fünftel. 569 Stimmzettel werden ausgeteilt, bei den Sufra-Anhängern herrscht breiter Optimismus.
23.25 Uhr. Der Hammerschlag: Stadtpräsident Casserini verkündet das Resultat: 307 Nein zu 249 Ja. Der Schlummertrunk wird trotzdem offeriert.
Phönix aus der Asche
Der Traum vom Frauenzentrum: geplatzt. Doch nicht für lange. Bereits 1997 wagte die Stadt einen weiteren Versuch. Verpufft war die politische Brisanz des Anliegens. Die Kommission, dieses Mal breit abgestützt, hatte ihre Hausaufgaben gemacht, die Skeptiker ins Boot geholt. Im September 1997 feierten die ersehnten «Frauenräume» Eröffnung. 14 Jahre später gingen sie zusammen mit der Erwachsenenbildung im heutigen Freiraum Stadt Sursee auf.
«Frauenzentrum wurde zu Grabe getragen»
Die Gründung eines Surseer Zentrums für Frauenförderung schlug 1993 hohe Wellen in der Bevölkerung, wie ein Blick in die Kommentar- und Leserbriefspalten unserer Zeitung zeigt.
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