Redaktor Thomas Stillhart war mit Toni Huber, seinem Bruder Ueli und Pius Stocker (von links) unterwegs. Foto sys
Redaktor Thomas Stillhart war mit Toni Huber, seinem Bruder Ueli und Pius Stocker (von links) unterwegs. Foto sys
05.08.2018

Das ist eine «rondi ond gsondi» Sach

Statt im Büro in der Hitze zu schmoren, startete ich am Freitag eine kleine Tour de Müll. Dieser Kurzeinsatz hat meine Stirn in Schweiss geperlt, als ob ich die Alpe d’Huez bezwungen hätte. Die erfahrenen Männer waren frei von Stress.

Auf meinem halbstündigen Schulweg in der Primarschule sah ich sie oft: Die Müllmänner, die so toll hinten auf dem Gitter der Lastwagen mitfahren konnten, immer draussen sein durften und uns Schulkinder auch manchmal grüssten. Die Faszination für die Männer in orange wuchs. So schlimm konnte der Gestank der Abfallsäcke nicht sein, denn die Männer arbeiteten gutgelaunt. Trug die frische Luft dazu bei? Die körperliche Bewegung? Der hohe Lohn? Oder wohnt dem Beruf des Müllmanns gar ein Glücksgen inne? Ich will es wissen. Die Josef Frey AG in Sursee macht es möglich.

«Den Güsel macht ihr»
Um 6.45 Uhr fährt Ueli Huber von Rickenbach mit seinem modernen Müllwagen vor. Im Fachjargon heisst er Kehrichtabfuhrwagen. Die Firma hat acht davon. Am Treffpunkt der Mitarbeiter über der Strasse wartet Pius Stocker. Er setzt sich zu uns. Die Fahrt geht am Freitagmorgen in Richtung Wetzwil, wo sich noch Toni Huber, der Bruder von Ueli, dazu gesellt. «Die Ferienzeit merken wir», erklärt Chauffeur Ueli Huber. Deutlich weniger Abfall als im Durchschnitt deponieren die Leute vor ihren Häusern. Heute Mittag werde der Kehrichtabfuhrwagen nicht voll, weiss er aus Erfahrung. Bald merke ich, mit ihm als Beifahrer kann es gar nicht langweilig werden. Er sprudelt nur so von Worten und hat eine philosophische Ader. «Den Güsel macht ihr, wir entsorgen ihn nur», erzählt er zum Beispiel.  


Die beiden Spetter Pius Stocker aus Kaltbach und Toni Huber aus Nottwil laufen nach hinten und stehen auf die Gitter. Es geht los. «Spetter» chrampfen: Sie laufen neben dem Müllwagen her, packen die Abfallsäcke und «versorgen» sie im Bauch des Lastwagens. Wenn ein Container am Strassenrand prall gefüllt wartet, helfen einander zwei Spetter, da er alleine zu schwer wäre. Das ist Handarbeit, schweisstreibend, ermüdend. Es gibt Touren, da ist nur ein Spetter eingeteilt. «Dann steige ich aus und helfe ihm», erklärt Ueli Huber. Das sei ein Geben und Nehmen. Seit sechs Jahre macht er diesen Job, und möchte nichts anderes mehr.

30 km/h im Maximum
Vor zwei Jahren hat er einen neuen, vollelektronischen Wagen erhalten. Er kann zehn Tonnen Abfall schlucken und stoppt sofort automatisch, wenn er rückwärts fährt und gleichzeitig ein Spetter noch auf dem Gitter steht. «Aus Sicherheitsgründen», fügt Ueli Huber an. Und schneller als 30 km/h kann er nicht fahren, wenn Spetter auf dem Gitter stehen.

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Kaum in Schlierbach angekommen und ein paar Runden gedreht, ist das Dorf schon abfallbefreit. Die Hälfte der üblichen Menge sammelten die drei Männer. Zweimal im Monat fährt Ueli Huber übrigens zur Reithalle von Franz Steiger. Solche Abmachungen können bei der Firma ausgehandelt werden.

Ohne Hilfe gehts nicht
Dann kommt meine halbe Stunde. Nach dem Znüni im «Rössli» Uffikon sammeln wir in Buchs den Abfall. Von dort aus darf ich auf das Gitter stehen und mit 30 km/h bis nach Wauwil fahren. Mit Pius Stocker packe ich die Abfallsäcke und schmeisse sie hinten rein. Sogar einen 110-Liter-Sack wage ich anzufassen, doch in diesem Fall gehts nicht ohne die Hilfe von Pius Stocker.  


Ich erinnere mich an die Worte von Ueli Huber «Wir sind ein Team und müssen harmonieren». Und: «Es gibt dümmere Jobs als Abfall sammeln.» Tatsächlich zeigt sich der Bürolist in mir. Schweiss rinnt mir über die Stirn, und die Kilos in den Abfallsäcken machens schwer. Hetzen ist gar keine Alternative, denn auch dazu hat Ueli Huber eine Erklärung: «Wenn wir keine Zeit hätten, müssten wir aufhören.»

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Aufgestellte Frauen grüssen
Ein Neuer muss auf den Touren Hürden wie unbekannte Abfallsäcke-Standorte und die körperliche Arbeit überwinden. Ueli und Toni Huber sowie Pius Stocker meistern dies routiniert und ohne Muskelkater. Einzig nahrungssuchende Wespen stören gegen Mittag die Arbeit. Ueli Huber spricht über die Sonnenseiten des Berufs: «Du bist in der Natur, und aufgestellte Frauen grüssen dich.» Ein paar Kinder würden jedoch die Nasen rümpfen, wenn sie die Müllabfuhr sehen, fügt er schmunzelnd hinzu. Weiter ist die Selbstständigkeit, die jedes Dreierteam hat, ein Vorteil. «Und jeder Tag ist anders.»


Bei der Josef Frey AG wechseln die Mitarbeiter mit den Touren ab. Auch die Zusammensetzung der Teams variiert. Der Chauffeur schwärmt: «Hut ab vor meinem Chef, dass er so viel Lohn zahlt und noch über 50-Jährige anstellt.» Alle drei Mitarbeiter auf meiner Tour verdienten lange Jahre bei anderen Arbeitgebern ihren Lohn oder waren selbstständig. «Das Alter ist nicht massgebend, nur der Wille», so Ueli Huber.

Die schweren Windeln
«Windel-Abfallsäcke» seien die schwersten, zwinkert er mir zu. Er weist aber daraufhin, dass viele private Sachen in den Säcken landen, die sie nichts angehen. Allgemein stammen ein Drittel der Abfälle aus Säcken, zwei Drittel aus Containern. «Wir fanden schon ein verpacktes Steak.» Es werde schon viel geschändet.

Der Lastwagen ist sein «Büro»
Die Zeit vergeht im Flug und schon ist Wauwil leer geräumt. Gegen Mittag kehren wir zurück nach Sursee. Der Lastwagen wird gekippt und geleert. «Ich schaue zum ihm, als wär er mein eigener. Sorge zu tragen ist wichtig. Für mich ist der Lastwagen mein Büro», gibt mir Ueli Huber auf den Weg. Jetzt weiss ich, warum die Josef Frey AG im Vorjahr «90 Jahre e rondi Sach» geschrieben hat. «E rondi ond gsondi» wäre auch passend.


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