Eine letzte Grabstätte für die Armen
Stadtführer Georges Zahno und Friedhofverwalter Marcel Büeler erzählten auf einer Führung die eindrückliche Geschichte des Friedhofs Dägerstein. Ein Friedhof einst nur für die Armen.
Das Wort Friedhof komme nicht von Frieden. Sondern vom mittelhochdeutschen Wort «Vride», was Umzäunung bedeute, so Stadtführer Georges Zahno an der Führung durch den Friedhof Dägerstein. Der Friedhof sei schon immer von Mauern umgeben und mit Toren verschlossen gewesen, um die Gräber vor Tieren zu schützen. Erbaut hatte man den Dägerstein 1636. Denn nach der Pestepidemie von 1627 sei es auf dem Friedhof der Pfarrkirche Sursee eng geworden. «Der Friedhof war nicht für alle. Er war für die Armen. Die Knechte, die Mägde und die Pesttoten», erzählt Zahno. «Die restlichen Surseer begrub man weiter bei der Pfarrkirche. Möglichst nahe am sakralen Raum.» Denn es hiess, dass beim 500 Meter entfernten Dägerstein die Chancen, die Feuerbitten der Heiligen zu erlangen, schlechter stünden.
Von der Abdankungshalle bis zur Kapelle reichte die Fläche des Dägersteins damals. Erst später baute man den Friedhof gegen Westen aus. Wo heute die Abdankungshalle steht, stand früher das Totengräberhaus der Familie Röllin. Totengräber Konrad Röllin hob die Gräber aus, während seine Frau die Verstorbenen herrichtete. Röllin war auch dafür verantwortlich, die Spitalabfälle in den Tiefen eines Schachts beizusetzen. «Als Röllin den ersten Fötus im Abfall fand, begann er heimlich Kindergräber anzulegen», so Georges Zahno. Zehn Gräber baute er für die totgeborenen und ungetauften Kinder. «Schliesslich kam die Stadt dahinter, und Röllin erhielt einen Verweis.» Doch Konrad Röllin liess sich nicht beirren und vergrub die ungeborenen Kinder stattdessen mit anderen Verstorbenen.
Im 19. und 20. Jahrhundert – als der Dägerstein nicht mehr als 2.-Klasse-Friedhof galt – gestaltete die Familie Amlehn zahlreiche Kunstdenkmäler für bekannte Surseer Familien. Die Steine sind heute noch auf dem Friedhof verteilt. Manche Denkmäler bei der Gräberhalle erbaute Paul Irenä Amlehn 1882 auf Wunsch von angesehenen Bürgerfamilien. Andere gestaltete sein Sohn Franz Sales Amlehn. Noch heute sind die Gräber der Gräberhalle Privatbesitz.
Viele der früheren Gegebenheiten, seien heute theologisch nicht mehr nachvollziehbar, so Georges Zahno. So beispielsweise der Umgang mit Suizid. «In den Augen der Mitbürger und der Kirche war das eine schwere Sünde. Denn der Verstorbene konnte weder Reue zeigen, noch das letzte Sakrament empfangen», so Zahno. «Sie fürchteten, dass die Verstorbenen als Widergänger zurückkehren. Also verurteilten sie die Leichen nachträglich zum Tode und enthaupteten sie.» Bei Nacht und Nebel wurden die Leichen begraben. «Eselsbegräbnis» habe man das damals genannt.
Im weiteren Teil der Führung informierte Friedhofsverwalter Marcel Büeler über die gegenwärtige Situation des Dägersteins. «Wir haben stets darauf geachtet, weitsichtig zu planen», so Büeler. «Im neuen Urnen-Friedhof, der in der zweiten Jahreshälfte 2017 erstellt wurde, sind Bänke zum Sitzen da und die neu gepflanzten Bäume spenden Schatten. Es soll den Leuten wohl sein.» Der Friedhof solle auch in Zukunft den Menschen aus Sursee und den zugehörigen Gemeinden Platz bieten.
Eine weitere Führung auf dem Friedhof Dägerstein findet am 31. August um 19 Uhr statt.