Pius Müller (SVP, links) ist noch nicht amtsmüde. Für Mario Cozzio (GLP) brauchts frischen Wind im Kantonsrat. Foto Ana Birchler-Cruz
Pius Müller (SVP, links) ist noch nicht amtsmüde. Für Mario Cozzio (GLP) brauchts frischen Wind im Kantonsrat. Foto Ana Birchler-Cruz
14.03.2019

Kantonsratswahlen 2019: Newcomer und Routinier kreuzen Klingen

Newcomer Mario Cozzio (neu) und Polit-Routinier Pius Müller (seit 2003) sprechen im Interview über Sesselkleber, Frauenquote, Sparzwänge und die Ehe für alle.

Pius Müller, seit 2003 sitzen Sie im Kantonsrat, jetzt kandidieren Sie erneut. Haben Sie keine Angst vor dem Sesselkleber-Image?

Müller: Nein, bis jetzt wurde mir das noch nie vorgeworfen. Mit 49 Jahren bin ich aber auch spät in die Politik eingestiegen, vorher absorbierte mich der Spitzensport und mein eigenes Geschäft.

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Keine Spur von Amtsmüdigkeit?

Müller: Überhaupt nicht! Ich bin kein Blender: Wenn ich gewählt werde, ziehe ich es durch. Ich bin motiviert und habe nach wie vor viel Energie und Freude an der Politik.

Mario Cozzio, braucht es eine Altersguillotine im Kantonsrat?

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Cozzio: Nein, aber ich finde es wichtig, dass das Milizparlament ein Spiegel der Bevölkerung ist. Meine Generation, also U30, ist heute im Kantonsrat klar untervertreten.

Nicht nur ihre Generation, auch Frauen. Braucht es eine Quote?

Cozzio: Nein, ich bin gegen eine Quote. Dass bei den diesjährigen Wahlen viel mehr Frauen kandidieren als 2015, finde ich aber gut. Letztlich muss das Gesamtverhältnis stimmen.

Müller: Mehr Frauen im Parlament wären wünschenswert. Bei vielen Frauen über 40 Jahren ist die Hemmschwelle aber gross, nach der Familienzeit noch in die Politik einzusteigen. Das ist schade, hier geht viel Kompetenz verloren.

Cozzio: Ja, auch 27-jährigen Frauen mit Kindern muss es möglich sein, im Kantonsrat zu politisieren – und nicht erst mit 40. Hier braucht es dringend Veränderungen.

Kommen junge Themen zu kurz in der Politik?

Cozzio: Zum Teil. Die Digitalisierung ist zukunftsweisend, hier müssten vermehrt die Jungen den Ton angeben. Ein junges Thema ist auch der Ausbau des Nachtnetzes, den die JGLP angestossen hat. Wir sind überzeugt, dass es auch für jemanden vom Land attraktiv sein muss, in die Stadt in den Ausgang gehen zu können. Dann machen wir uns auch stark für flexiblere Arbeitsmodelle, die es ermöglichen, Teilzeit zu arbeiten – insbesondere auf Managementstufe. Und wieso soll der Mutterschaftsurlaub künftig nicht einfach ein Elternurlaub sein?

Müller: Es darf aber nicht staatlich reguliert werden! Für Kleingewerbler wie mich wird es schwierig, wenn mehrere Männer gleichzeitig langen Urlaub beziehen. Den Vaterschaftsurlaub soll die Wirtschaft lösen. Es gibt ja bereits viele Unternehmen, die solche Modelle anbieten. Zu den KMU müssen wir jedoch Sorge tragen, sie stellen schliesslich den grössten Teil der Arbeits- und Ausbildungsplätze zur Verfügung.

Cozzio: Es braucht keinen Zwang, aber ein flexibles Modell. Für den Arbeitnehmer soll es keine Rolle spielen, ob er bei einem KMU oder einem Grosskonzern angestellt ist, wenn es um die Familie geht.

Pius Müller, als selbstständiger Gewerbler haben Sie sich stets gegen die Erhöhung der Unternehmenssteuer gewehrt. Hat sich der Kanton mit der Tiefsteuerstrategie ins Abseits manövriert?

Müller: Die Steuerstrategie des Kantons ist richtig und gut. 2005 haben wir tiefe, 2008 mittlere Einkommen entlastet. 2011 folgte die Halbierung der Unternehmenssteuer. Das hat den Standort Luzern wieder attraktiv gemacht, viele Firmen kamen retour und haben Arbeitsplätze geschaffen. Im Kanton Luzern haben wir kein Einnahmen-, sondern ein Ausgabenproblem. Erhöhen wir die Unternehmenssteuern, machen wir vieles zunichte.

Cozzio: Die Tiefsteuerstrategie hat Positives und Negatives bewirkt. Man muss aber einsehen, dass die Realität nicht so perfekt ist, wie man sie gern gehabt hätte. Für die meisten Bürger  führt die Strategie in eine Sackgasse, der Kanton kann sich nicht zu Tode sparen. Verdoppeln soll man die Unternehmenssteuern verständlicherweise nicht, aber vielleicht geringfügig erhöhen – auch wenn das Gewerbe in den sauren Apfel beissen muss.

Müller: Nochmals: Der Kanton hat ein Ausgabenproblem. Privat kann ich auch nicht mehr ausgeben, als ich einnehme. Aus dem Ruder laufen aktuell die Kosten im Sozial- und Gesundheitswesen. Und dann gibt es Departemente, die ihre Hausaufgaben gemacht haben. Andere haben das heisse Eisen nicht angefasst. Ein Personalstopp hat nichts genützt, obschon hier Sparpotenzial vorhanden gewesen wäre.

 Mario Cozzio, Sie kritisieren, dass der Kanton die Landschaft links liegen lässt. Weshalb?

Cozzio: Viele Infrastrukturprojekte, zum Beispiel die Spange Nord oder der Bypass, sind stadtnahe Projekte. Dass es auch auf dem Land Probleme gibt, gerade beim Verkehr, geht oft vergessen. Auch Umweltanliegen wie der Moorschutz sollte der Kanton ernster nehmen.

Müller: Es ist wichtig, dass Land- und Randregionen nicht abgewürgt werden. Die Y-Achse Surental–Luzern–Rontal ist aber gut aufgestellt. Das Strassenbauprogramm bringt Entlastungen in der Region, viele Strassen werden in absehbarer Zeit saniert. Was für mich wichtig ist: Auf allen Kantonsstrassen werden Radwege realisiert!

Trotzdem müsste der Kanton auf der Landschaft mehr machen?

Cozzio: Man kann nie genug machen. Das verdichtete Bauen bringt mehr Menschen auf kleinerem Raum zusammen. Das bringt Mehrverkehr. Es braucht also mehr Fuss- und Velowege und kürzere Strecken ins Zentrum.

Müller: Beim Langsamverkehr sind wir gut aufgestellt. Und der Mehrverkehr rührt ja vor allem vom starken Wachstum her. Aber die Y-Achse ist gegeben. Was den Landregionen schadet, ist die zunehmende Zentralisierung. Die Schliessung vieler Poststellen geht zu weit, wir dürfen nicht alles wegrationalisieren. Schliesslich verursacht dies auch wieder Mehrverkehr, wenn ich nach Sursee zur Post fahren muss.

Cozzio: Aber gerade hier könnte man gemeinsame Ressourcen nutzen und gemeindeübergreifend zusammenarbeiten. Natürlich gibt es Leute, die noch mit dem Postbuch einzahlen, dies wird in den zukünftigen Generationen jedoch nach und nach verschwinden. Alle Poststellen zu behalten, wäre nicht zukunftsorientiert.

Mario Cozzio, Sie sind Präsident des Netzwerks GayLP und machen sich stark für LGBT-Themen wie die Ehe für alle. Welches Zeugnis stellen Sie dem Kanton aus?

Cozzio: Die Ehe für alle ist nicht auf kantonaler Ebene zu lösen. Diesem Thema gebe ich aber maximal noch zwei bis drei Jahre, dann sollte zumindest die Ehe für alle auch in der Schweiz Realität sein. Ich sehe keinen Grund, weshalb man anderssexuellen Paaren gewisse Rechte wie die Ehe oder die Adoption verweigern soll.

Müller: Das ist ein heikles Thema. Grundsätzlich soll jeder so leben dürfen, wie er will. Für mich ist die Familie mit Ehemann und -frau die Kernzelle der Gesellschaft. Aber ich finde, die Akzeptanz von Schwulen und Lesben ist heute sicher schon viel besser als früher.

Cozzio: Und doch gibt es heute noch viele, denen das Outing schwerfällt. Hier muss auch die Gesellschaft einen Schritt vorwärts machen.

Müller: Dafür habe ich Verständnis, aber eine gesetzliche Verankerung der Ehe für alle oder des Adoptionsrechts befürworte ich nicht. Homosexuelle werden ja nicht diskriminiert.

Cozzio: Wenn ich meinen Partner nicht heiraten kann und wir keine Kinder adoptieren dürfen, dann bin ich sehr wohl eingeschränkt! Wenn mich die Kirche nicht trauen will, ist das völlig ok. Vor dem Gesetz erwarte ich aber, dass ich die gleichen Rechte habe wie ein Hetero-Paar.

Müller: Das sehe ich, der gesetzliche Nachvollzug muss aber noch mehr reifen.

Blicken wir auf die Wahlen: Ist die Zeit reif für eine Zäsur?

Müller: Grosse Verschiebungen wird es nicht geben. Natürlich hoffe ich, dass die SVP ihren Wähleranteil behalten kann oder zulegen wird.

Cozzio: Die Zeit ist reif für jugendliche, frische, zukunftsgerichtete Ideen. Junge machen die Politik zugänglicher. Und ich hoffe, dass die GLP noch mehr Wählerstimmen gewinnt. Gemäss meinen Berechnungen wird der 22. Sitz jedoch an die SP gehen.


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