Tiefenrausch – Ein Redaktor taucht unter
Das Tauchen im Meer fasziniert. Und im See? Ebenso! Weshalb sich der Redaktor diesem «Tiefenrausch» erneut aussetzen und die Welt der Menschen hinter sich lassen würde – zumindest für einige Stunden.
2007, auf Mallorca, während der Maturareise, war mein erstes Mal. In glasklarem Wasser, bei lauen 25 Grad. Die Schwerelosigkeit, die Unterwasserwelt, Flora und Fauna in allen Regenbogenfarben, die Mühelosigkeit, mit der wir durchs Wasser glitten. Seesterne, Platt-, Lipp-, Schleim- und andere Fische. Ein visuelles Spektakel par exellence, das dem Menschen nur allzu selten vergönnt ist. Es sollte mich in den Bann ziehen, das Tauchen, faszinieren. Nachhaltig. Nur versatzstückartig sind hingegen meine Erinnerungen an die Beschwerlichkeiten des Tauchgangs, an das Gewicht der Tauchflasche, an die anfänglichen Mühen mit dem Lungenautomaten. Rückblickend muss ich sagen: vielleicht zum Glück.
Die Realität
2018, ein schwüler Sonntagmorgen, am General-Guisan-Quai in Stansstad. Der Nottwiler Tauchlehrer Werner Käslin, mein Guide für den heutigen Tauchgang, warnt bereits früh. Tauchen im See und Tauchen im Meer seien zwei Paar Schuhe: Das Seewasser ist kälter, die Sicht ungleich schlechter – im Sempachersee aufgrund der Seekreide solchermassen, dass sich dort ein Tauchgang kaum lohnt. Eisweste, Füsslinge, Handschuhe und ein 7-mm-Tauchanzug mit Haube sollen vor den Temperaturen – in zwölf Metern Tiefe rund zwölf Grad – schützen. An Land bewirkt die Ausrüstung das Gegenteil: Unerbittlich zieht der Bleigurt in Richtung Boden, die Sonne erwärmt den Neoprenanzug auf Backofentemperatur und der Gang mit der Pressluftflasche gelingt im besten Fall torkelnd. So behäbig hatte ich das nicht in Erinnerung, damals auf Mallorca. Nun gut.
Der Redaktor (links) und der Nottwiler Tauchinstruktor Werner Käslin vor dem Gang ins kühle Nass beim General-Guisan-Quai in Stansstad.
Der Einstieg
Blau-weiss flimmert die Taucherflagge in der morgendlichen Hitze, lässt die Kapitäne wissen: Hier sind Froschmänner unterwegs. Der Einstieg gelingt, das Anlegen der Flossen im Wasser ein weiterer, ungelenker Kraftakt. Das Atmen mit dem Lungenautomat bereitet Mühe – unerwartet. Hinter der Taucherbrille hätte ein Beobachter für einen kurzen Moment wohl Panik ausmachen können. Werner Käslin beruhigt: Beim ersten Mal würden die meisten vergessen, richtig durch das Mundstück ein-, aber vor allem auszuatmen. Die Folge: flaches Atmen und Hyperventilieren. Klassischer Anfängerfehler. Jetzt muss es klappen: «Gut Luft.»
Der Tauchgang
Das smaragdgrüne Wasser verschlingt uns, die beiden Taucher, umhüllt die Leiber, umschmeichelt die Gesichter, wie nur kühles Nass es kann, dringt ein in den Neoprenanzug, kaum merklich, jedoch angenehm und kühl. Pressluftflasche und Bleigurt verlieren an Gewicht, Schwerelosigkeit stellt sich ein. Die Welt des Menschen: erstorben. Allein fernes Rauschen und dumpfes Hämmern zeugen vom sich belebenden General-Guisan-Quai. Wir sinken ab: ein, zwei, drei Meter, vorerst. Der Redaktor orientierungslos, Werner Käslin, routiniert, lotst und bedient seine wie auch meine Tarierweste. Käslin presst Daumen und Zeigfinger aufeinander: «OK?». OK!
Alles in Ordnung? «OK!»
Wir absolvieren Anfängerübungen: holen Luft, entfernen den Atemregler aus dem Mund, setzen ihn wieder ein, fixieren die Taucherbrille mit einer Hand, blasen angesammeltes Wasser kräftig aus. Nützlich und keine Hexerei. Dann gehts in die Tiefe. Acht, neun, zehn, elf, zwölf Meter zeigt der Tauchcomputer an. Endstation. Wir haben die Sprungschicht erreicht, wie kleine Nadeln sticht das kalte Wasser jetzt im Gesicht. Ein Rundumblick offenbart eine Mondlandschaft: karg, düster, abschüssig – mit jedem Meter blickt einem das Dunkel tiefer in die Augen. Egli ziehen langsame Kreise, passieren unser Sichtfeld, höhnisch, als verspotteten sie die beiden schwerfälligen Landbewohner. Recht haben sie.
Der Aufstieg
Beim Aufstieg durchqueren wir Algenfelder, anderthalb Meter hoch, die sich, Seeschlangen gleich, um unsere Hände und Füsse ranken. Ein Blick zurück über die Schultern verdeutlicht, was Käslin eingangs mit «schlechter Sicht» meinte: Mit jedem Flossenschlag verdichtet sich die Partikelwand hinter uns, lässt den Rückweg unpassierbar erscheinen. Wir steigen weiter auf, lassen die Sprungschicht hinter uns, durch das Wasser blitzen die Strahlen der Mittagssonne. Zwei Köpfe durchstossen die Wasseroberfläche, keine 40 Minuten nachdem sie verschwunden sind.
Die Erkenntnis
2000 und mehr. So viele Tauchgänge absolvierte Werner Käslin in den vergangenen 23 Jahren. Dabei hat er keinen einzigen Tauchunfall erlebt. Natürlich gebe es Risiken, insbesondere in grösseren Tiefen, führt Käslin auf dem Rückweg nach Nottwil aus. Trotzdem: Tauchen sei eine sichere Sportart – vorausgesetzt, die Sicherheitsvorschriften würden eingehalten und die Ausrüstung richtig gewartet.
Aus Käslin spricht der Experte. Abgeklärt, obschon seine Faszination für das schwerelose Gleiten unter Wasser in seinen Ausführungen immer wieder zum Ausdruck kommt. Und in der Tat ist es ein erhabenes Gefühl. Aber da ist noch mehr. Ein Gefühl von wohltuender Einsamkeit und Kontemplation, das sich nach der anfänglichen Hektik einstellte. Ein audiovisueller Kontrapunkt zum vergnügten Treiben an der Oberfläche, zum Lachen der Jugendlichen am General-Guisan-Quai, zum Kläffen des Golden Retrievers am Wasser, zur brütenden Autoschlange beim Parkplatz. Kurzum: Ja, da würde ich wieder runter.