«Viele haben Respekt vor der Digitalisierung»
Der digitale Wandel macht sich auch in unserer Region bemerkbar. Im Interview erklärt IHV-Präsident Josef Sommer, welche Chancen und Risiken die Digitalisierung birgt und was Unternehmen brauchen, um aus dem Wandel gestärkt hervorzugehen.
Dieses Interview entstand im Rahmen des IHV-Magazins 2018 in der Surseer Woche vom 31. Oktober 2018. Das Magazin steht den Leserinnen und Lesern der «Surseer Woche» hier (PDF, 23 MB) zum Download bereit.
Josef Sommer, die Digitalisierung beschäftigt Gewerbe und Industrie mehr denn je, keine Branche ist nicht davon betroffen. Wie nehmen Sie als Präsident der Industrie- und Handelsvereinigung Region Sursee-Willisau dieses Thema wahr?
Die Digitalisierung ist in aller Munde. Jeder spricht von ihr, doch nicht immer ist klar, was sie für die betroffenen Unternehmen für Folgen hat. Oft stelle ich fest, dass Respekt gegenüber der Frage vorhanden ist, was die Digitalisierung eigentlich mit sich bringt. Manchmal sind es kleine Schritte, die bereits als Digitalisierung verstanden werden können.
Wie kann man sich Prozesse vorstellen, die digitalisiert werden?
Oft sind es repetitive Arbeiten, welche die Unternehmen digitalisieren. Ein einfaches Beispiel findet sich im Bürobereich: Beispielsweise wird immer mehr mit Plattformen gearbeitet, auf denen Dokumente automatisiert verarbeitet werden. Heute haben Unternehmen oft gar keine eigenen Server mehr im Haus, sondern sichern Daten in der Cloud. Die Form, wie wir Daten speichern, ist somit ebenfalls ein Beispiel für die Digitalisierung.
In welcher Branche macht sich die Digitalisierung am stärksten bemerkbar?
Der Non-Food-Detailhandel ist zum Beispiel deutlich betroffen. Ganze Branchenzweige wie Musik, Bücher und Schuhe erleben einen gewaltigen Schub in Richtung Online-Handel. Aufgrund der zunehmend digitalisierten Schnittstelle zum Endkonsumenten kommt die Digitalisierung auch bei den Produktionsbetrieben zum Tragen. Die ganze Produktion wird heute zunehmend digital abgebildet und gesteuert. Sie entwickelt sich stetig weiter.
Der Druck zu wachsen und sich weiterzuentwickeln nimmt mit der Digitalisierung zu.
Das ist so. Jede Entwicklung hat auch ihre Schattenseiten, wobei man dies aber differenziert betrachten muss. Wettbewerbsdruck gab es auf dem hochentwickelten Wirtschaftsstandort Schweiz schon immer. Mit der Digitalisierung verändern sich gewisse Bedingungen.
Gibt es eine Branche, in der die Digitalisierung eine untergeordnete Rolle spielt?
Das ist schwierig zu sagen. In spezialisierten Branchen, in denen das Handwerk noch eine andere Bedeutung hat, gibt es das bestimmt. Dieses Handwerkskönnen kann nicht digital ersetzt werden. Dort wird die Digitalisierung nie die Rolle spielen, die sie in jenen Betrieben spielt, die beispielsweise in grossen Mengen produzieren. Diese Firmen kommen nicht darum herum, Prozesse digital abzubilden, gewisse Stellen abzubauen und neue zu schaffen.
Wie gehen KMU in unserer Region mit den neuen Herausforderungen um?
Das Projekt «Befähigung der KMU-Landschaft zur Digitalisierung», das unter anderem vom Regionalen Entwicklungsträger Sursee-Mittelland ins Leben gerufen wurde, unterstützt bei der Orientierung in der digitalen Welt. Es bietet Erstberatung an und vermittelt Anlaufstellen, die beim Umsetzen von digitalen Projekten helfen. Wir merken, dass die Firmen auf dieses Angebot ansprechen. Das Bedürfnis, sich auszutauschen, ist vorhanden. Auf der anderen Seite spüre ich, dass einzelne Unternehmen immer noch Respekt haben vor der Digitalisierung.
Die Offenheit gegenüber der Digitalisierung ist also nicht immer vorhanden ...
Bei einigen Unternehmen spüre ich die Sorge vor den Folgen der Digitalisierung. Digitalisierung heisst: Ein weisses Blatt nehmen, Prozesse definieren und sich fragen, wie man diese möglichst einfach gestalten kann. Wie können wir künstliche Intelligenz anwenden? Welche digitalen Tools verschaffen uns einen Vorteil im Wettbewerb um den Kunden? Und da ist es wichtig, sich vielleicht gerade von einem Prozess, der sich 30 Jahre lang bewiesen hat, komplett zu lösen.
Diese Ängste teilen Sie nicht?
Ich kann die Sorgen nachvollziehen. Den Weg der Digitalisierung müssen wir aber trotzdem gehen, sonst verlieren wir den Anschluss.
Kann die IHV oder das Projekt des Entwicklungsträgers den KMU diese Angst nehmen?
Die Digitalisierung bedeutet für die Unternehmen ein massiver Change-Prozess. Wenn Strukturen und Prozesse verändert werden, hat dies auch Folgen für die Mitarbeitenden. Dies müssen sich alle Unternehmen bewusst sein. Um diesen Change-Prozess zu meistern, braucht es intensive Kommunikation, praxisbezogene Aufklärungsarbeit, Projektarbeit in gemischten, bereichsübergreifenden Teams und Personalentwicklung.
Haben es kleinere Firmen schwieriger mit den anstehenden Herausforderungen?
Kleine Unternehmen sind für grössere Veränderungen oft auf externe Ressourcen angewiesen, was mit Aufwand und Kosten verbunden ist. Ausschlaggebend ist bei kleineren Betrieben zudem die Geschäftsleitung oder der Inhaber: Es spielt eine grosse Rolle, wie viel Eigeninitiative, Know-how und Leidenschaft bei diesen Personen vorhanden sind, um vorwärts zu kommen. Wer sein Unternehmen für die Digitalisierung öffnen will, muss als Geschäftsführer immer als Vorbild agieren.
Wie weit ist die Digitalisierung in der Region im nationalen Vergleich fortgeschritten?
Wie es schweizweit aussieht, kann ich nicht sagen. Im internationalen Vergleich nimmt die Schweiz einen Spitzenplatz ein, auf Augenhöhe mit den skandinavischen Ländern. Grundlegende Voraussetzungen wie Zugang zu Breitbandinternet, Verbreitung von Smartphones, digitalisierte Prozesse für Amtsgeschäfte etc. sind in der Schweiz gegeben. Was Studien allerdings auch zeigen, ist, dass Schweizer Unternehmen auf ihrem Weg in die Digitalisierung noch mutiger und experimentierfreudiger sein können.
Wo sehen Sie Potenzial?
Unsere Unternehmen müssen sich bewusst sein, dass der Kontakt zum Kunden – der sich immer häufiger nur noch digital erreichen lässt – noch viel härter werden wird und zwar in allen Bereichen. Betrachten wir das Beispiel Amazon: Die Plattform hat den Kontakt zum Endkunden übernommen. Der Anbieter von Produkten, der die Plattform nutzt, wird zum Lieferanten zurückgestuft. Deshalb ist es positiv, dass Schweizer Unternehmen Konkurrenzplattformen aufgebaut haben, zum Beispiel Brack.ch. Unsere Unternehmen tun gut daran, mit innovativen Ideen die Schnittstelle zu ihren Kunden zu erobern oder zu verteidigen. Es nützt nichts, wenn wir die besten Produkte der Welt haben, wenn ein anderer Marktteilnehmer die Schnittstelle zum Kunden besetzt.
Welche Risiken und Chancen sehen Sie für die Region?
Als Chance sehe ich bei unseren vielfältig aufgestellten Unternehmen das Potenzial für neue Geschäftsmodelle. Zum grössten Risiko gehört die erfolgreiche Bewältigung des erwähnten Change-Prozesses. Unternehmen bauen auf ihre Mitarbeitenden, und diese müssen in diesem Prozess eng begleitet werden.
Wird es unter dem Strich nicht weniger Arbeitsplätze geben?
Es gehen vermutlich mehr Arbeitsplätze verloren, als gewonnen werden. Das ist branchenabhängig. Es wird Veränderungen geben. Klar ist, dass sich langfristig die Aufgabenbereiche von Mitarbeitenden verändern werden. Repetitive Arbeiten wie zum Beispiel das Abheften von Unterlagen werden immer weniger nachgefragt. Allerdings bringen auch digitale Prozesse repetitive Arbeiten mit sich, die es auszuführen gilt. Anstelle einer Verlagerung der Produktion ins Ausland können dank der Digitalisierung auch Arbeitsplätze in der Produktion in der Region beibehalten werden.
Wird das hohe Tempo der Digitalisierung weiterhin anhalten?
Die Industrialisierung 4.0 ist keine Revolution, sie ist eine Weiterentwicklung und wird uns ständig begleiten. Das ist ein Prozess, der uns noch lange beeinflussen und verändern wird. Wobei Digital-Profis sagen, dass sich die Welt noch nie so langsam verändert hat wie heute.
Es gilt also, die Zeit zu nutzen?
Ja, denn wir wollen alles daransetzen, unsere Spitzenposition als erfolgreicher Wirtschaftsstandort zu verteidigen.