Uri, Schwyz, Unterwalden und Luzern schlossen 1332 einen Bund. Foto:zvg
Uri, Schwyz, Unterwalden und Luzern schlossen 1332 einen Bund. Foto:zvg
28.10.2018

1291 war kein Schicksalsjahr

«Tell ist wie ein Abziehbild, er wird von allen Seiten gebraucht und manchmal auch missbraucht.» Das sagt der Historiker und Verleger Bruno Meier und erzählt, warum er Mythen trotzdem nicht verteufelt.

Bruno Meier, was reizt Sie persönlich am Thema 1291?
Ein Historiker ist a priori neugierig. Mich hat die Spannung zwischen der öffentlichen Wahrnehmung von 1291 und dem tatsächlichen Wissen über dieses Jahr gereizt. Da gibt es eine Diskrepanz. Zudem hatte ich Lust, ein solches Buch zu schreiben. Die Methode, wie sie Florian Illies für 1913 angewendet hat, faszinierte mich. Sie gibt einen ganz anderen Zugang zum Jahr 1291.

Wo liegen die Herausforderungen dieser Methode, eine Geschichte auf ein Jahr aufzuteilen?
Da aus dem Jahr 1291 nur ganz wenige Quellen vorhanden sind, war das fast wie eine methodische Übung. Geht das überhaupt, fragte ich mich und kann nun mit Ja antworten. Es war aber nicht ganz einfach. Diese ferne Zeit ist mit unserer Zeit nicht vergleichbar.

Welche Reaktionen haben Sie auf Ihr Buch erhalten?
Die einen sagten, das Buch lese sich wie ein Roman, andere schauten immer wieder im Anhang nach, wie die komplexen Familienverhältnisse zusammenhängen. Interessant ist, dass aus Fachkreisen kaum Reaktionen gekommen sind.

Warum nicht?
Ich habe den Verdacht, dass die Fachhistoriker die Machart des Buchs als nicht statthaft anschauen. Ich behaupte jedoch, dass die Fakten wissenschaftlich gesichert sind. Die Form mit den Monaten als Kapitel ist jedoch sehr strikt und schränkt auch ein.

Am Anfang listen Sie wie bei einem Theaterstück eine Palette von wichtigen Personen auf. Was steckt dahinter?
Ich habe am Anfang definiert, welches die Hauptfiguren sind. Sie kommen immer wieder vor im Buch. Die Hauptgeschichte des Jahres 1291 betrifft eine Familienfehde innerhalb der Habsburger. Die Laufenburger-Linie war ins Hintertreffen geraten. Nach dem 15. Juli und dem Tod von König Rudolf von Habsburg versuchten sie, das Steuer zurückzudrehen.

Kam der Tod von König Rudolf überraschend?
Nein, er war alt und greis. Das Umfeld hat gewusst, dass er bald sterben wird. Nach seinem Tod haben sie sich schnell in Stellung gebracht.

War König Rudolf in der Innerschweiz damals präsent?
Physisch präsent war er in Basel, Zürich und Kon-stanz. Als König war er zwar nicht in der Innerschweiz anwesend, den Führungsschichten war es aber sehr wohl bewusst, wer der König ist. Sie suchten auch seine Nähe. Das beruhte auf Gegenseitigkeit. Die Reichsstädte Zürich und Basel sowie die Reichsländer Uri und Schwyz waren für den König wichtig.

Was wäre wohl passiert, wenn der einflussreiche König Rudolf erst später gestorben wäre?
Er hätte es vielleicht geschafft, seinen Sohn als Nachfolger aufzubauen. So musste Sohn Albrecht sieben Jahre warten, bis er den Thron besteigen konnte. König Rudolf war ein Mensch mit einer unglaublichen Erfolgsgeschichte. Nur die Kaiserkrone blieb ihm verwehrt, obwohl er mehrmals mit den Päpsten verhandelt hat.

Haben Sie eine Lieblingsfigur aus dieser Zeit?
Ja, aber er war nur eine Randfigur. Otto von Grandson, ein waadtländischer Adliger, wäre eine gute Romanfigur. Sein Vater diente dem Grafen von Savoyen. Er wuchs am englischen Königshof wie ein Bruder von Prinz Eduard auf. Otto von Grandson wurde 90 Jahre alt. In der Kathedrale von Lausanne liegt sein Grab.

Wollen Sie über Otto von Grandson einmal ein Buch schreiben?
Vielleicht später. Es würde eine grössere Archivrecherche in England brauchen.

Zurück zum Jahr 1291. Haben Sie eine Erklärung, warum der Bundesbrief weder ein genaues Datum noch einen Ausstellungsort hat?
Antworten dazu fallen spekulativ aus. Roger Sablonier machte den Vorschlag, dass der Bundesbrief später als 1291 aufgeschrieben wurde. Eine Vordatierung war damals nichts Ungewöhnliches. Das Pergament des Bundesbriefs stammt zwar aus der Zeit um 1300. Die «Echtheit» des Bundesbriefs ist jedoch nicht so wichtig, entscheidend ist, wie die Urkunde gebraucht wurde.

Der Bundesbrief tauchte im 18. Jahrhundert in einem Archiv in Schwyz auf. Danach erlebte er einen raketenhaften Aufstieg. Gibt es dazu eine Erklärung?
Am Ende des 19. Jahrhunderts erlebte die Geschichtsschreibung einen Wandel. Die Legenden wurden verworfen, Dokumente und Urkunden gewannen an Bedeutung. Die Historiker bewerteten den Bundesbrief neu, schauten aber nicht, wie er gebraucht worden war. Der Bund von Brunnen 1315 ist viel öfter erwähnt worden, der Bundesbrief bis weit ins 19. Jahrhundert nur einmal in Stans.

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Wie erklären Sie das?
Die Chronistik hat immer 1315 betont, wo am 9. Dezember in Brunnen nach der Schlacht am Morgarten ein Bund geschlossen wurde. Für die Eidgenossen war der Bundesbrief von 1291 nicht bekannt und damit auch nichts wert. Aus Sicht der Forschung wurde er im 19. Jahrhundert hochstilisiert. Heute kann man das Datum nicht mehr zu 1315 kehren. 1291 gehört zur DNA der Schweiz, obwohl diese Jahreszahl höchst unsicher ist.

Was wäre dann die richtige Jahreszahl?
Vielleicht der Brief von 1240, wo Schwyz die Reichsfreiheit zugesichert bekam. Oder 1450, als nach dem Alten Zürichkrieg die Bünde neu beschworen wurden.

Aber 1291 haben sich Vertreter von Uri, Schwyz und Unterwalden getroffen und ein Dokument verfasst. Welche Bedeutung messen Sie diesem Akt 727 Jahre später bei?
Urner und Schwyzer haben sich vermutlich immer wieder getroffen. Die Stellung Unterwaldens bleibt vage. Unterwalden war nicht reichsfrei. Der konkrete Anlass für ein Treffen könnte der Kauf Luzerns durch die Habsburger im April 1291 gewesen sein. Zu Luzern gehörten Ländereien in Unterwalden; durch den wichtigen Schiffsverkehr war die Stadt Luzern eng mit Uri verbunden. Da es im Gotthardverkehr um sehr viel Geld ging, lag eine Einflussnahme durch die Habsburger in der Luft.

Ab wann spricht man erstmals von Eidgenossen?
Schon beim Bund von Brunnen 1315 war die Rede von Eidgenossen. 1351, beim Bund der drei Urkantone und Luzern mit Zürich, wird die Eidgenossenschaft als gemeinsamer Begriff genannt.

War einen Eid ablegen wichtiger als eine Unterschrift?
Ja, die Parteien beschworen einen Eid vor Gott, um gemeinsam Hilfe zu leisten und sich gegenseitig abzusichern.

Sind Sie als Historiker mehr Pädagoge oder mehr Aufklärer?
Ich bin ein Vermittler oder ein Übersetzer. Das Buch von Roger Sablonier «Gründungszeit ohne Eidgenossen» vor zehn Jahren ist zwar vielfach gekauft worden, aber es ist nicht einfach zu verstehen, braucht Übersetzung. Ich möchte Geschichte vereinfacht vermitteln.

Was halten Sie von Mythen?
Ich bin nicht gegen Mythen. Sie haben eine andere Funktion als die Geschichtsschreibung. Der Tell- und der Gründungsmythos waren wichtig, als sich die Schweiz gegen aussen legitimieren musste. Sie fungierten als starke politische Klammer bis weit in den Kalten Krieg.

Werden Mythen missbraucht?
Christoph Blocher kennt die richtige Geschichte. Er sagt aber, der Mythos ist eine sehr gute Erzählung, die noch heute politisch gebraucht werden kann. Mythen sollten nicht verteufelt werden. Im Bauernkrieg 1653 beriefen sich die Entlebucher auf Wilhelm Tell gegen die Herren in Luzern. In der Helvetik zierte Wilhelm Tell das offizielle Logo. Tell ist wie ein Abziehbild, er wird von allen Seiten gebraucht, manchmal auch missbraucht. Solche Mythen kann man nicht überwinden, nur erklären.

Aber die Wissenschaft hat Mythen nicht gern.
Seit den 1960er-Jahren gibt es eine klare Trennung zwischen Mythos und Geschichtsschreibung. Diese Wahrnehmung drang aber nur wenig in die Öffentlichkeit. Mythen haben eine ganz wichtige Funktion, wenn es um die Gemeinschaft geht, und sind in der öffentlichen Wahrnehmung wichtig.
Bei einer Diskussion zwischen Thomas Maissen und Christoph Blocher in Zürich im Jubiläumsjahr 2015 hat ein Mann Maissen gefragt, ob er seinen Kindern den Rütlischwur vorgelesen habe. Der Mann zitierte wie selbstverständlich aus Friedrich Schillers Theaterstück «Wilhelm Tell» von 1804 und meinte damit den Bundesbrief von 1291.

 

 

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1291, 1315 oder erst 1848?
Ein historischer Abend in Buchhandlung

Die Buchhandlung Untertor reist in die Vergangenheit. Mit den beiden Historikern Bruno Meier und Kurt Messmer geht es bis zum Ursprung der Eidgenossenschaft. Ursprung? Vielleicht.  

Am Mittwoch, 31. Oktober, organisiert die Buchhandlung Untertor an der Bahnhofstrasse 11 in Sursee einen historischen Abend. Die beiden Historiker Kurt Messmer und Bruno Meier sind dabei und nehmen alle mit auf eine Spurensuche in die Geschichte. Samuel Budmiger, der Geschäftsführer der Buchhandlung, spricht mit ihnen. «Ist 1291 der Ursprung der Schweiz?», lautet die Grundfrage. Fällt in diesem Jahr der Entscheid für die Gründung der Eidgenossenschaft? Beide Autoren stellen ihre Bücher vor. Kurt Messmer hat das Buch «Die Kunst des Möglichen. Zur Entstehung der Eidgenossenschaft im 15. Jahrhundert» 2018 verfasst. Auch in diesem Jahr brachte Bruno Meier das Buch «1291. Geschichte eines Jahres» heraus. Beide Bücher erschienen im Verlag «Hier und jetzt», der von Bruno Meier geleitet wird. 

 

                   
                   
                   
                   
                   
                   
                   
                   
                   
                   

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