«Digital gezeichneten Linien fehlt die Seele»
Tätowierer Valentin Steinmann vertraut seinem zeichnerischen können und seiner Fantasie. Von der Ideenskizze bis zum fertigen Tattoo: Bei ihm ist der gesamte künstlerische Prozess geprägt von hand- werklichem Können, viel Fantasie und Gespür für den Kunden. Nur so bleibe der Spirit im Werk erhalten, ist der Tätowierer überzeugt.
Ein Hauch von Museumsluft weht durch das Atelier von Valentin Steinmann. Da stehen filigrane Holzmodellschiffe, ausgestopfte Tiere, Biedermeiermöbel, Figuren und Bilder aus längst vergangenen Zeiten. In den Räumlichkeiten an der Oberstadt 25 reiht sich ein kostbarer Blickfang an den anderen.
«Ich mag es, Gegenstände um mich zu haben, bei denen man das Handwerk dahinter sieht», sagt Steinmann. «Diese Gegenstände inspirieren mich.»
Vom Steinmetz zum Tätowierer
Schon als Jugendlicher habe er sich fürs Tätowieren interessiert, sagt der gebürtige Emmer. «Ich sammelte Tattoo-
Magazine und suchte den Kontakt zu professionellen Tätowierern, um mir das nötige Wissen anzueignen. Mit 14 Jahren kaufte ich meine erste Tätowiermaschine.»
Damals wie heute jedoch gab bzw. gibt es für diese Tätigkeit keine offizielle Ausbildung. «Als es in der Schule um die Berufswahl ging, machte ich auf Anraten eines Lehrers, der mein gestalterisches Talent erkannte, eine Schnupperlehre bei den Steinmetzen in Root», erinnert sich der heute 50-Jährige.
Und er beginnt zu schwärmen: «Ich war fasziniert, wie die Steinmetze sich mit Knüpfel und Eisen durch den Stein arbeiteten, der toten und kalten Materie nach und nach Leben einhauchten und etwas Beständiges schufen. Aber auch das Geräusch des Klopfens und der Geruch des Ateliers hatten es mir auf Anhieb angetan. Von da an wusste ich, welchen Beruf ich erlernen wollte.»
Auf diesem sollte Steinmann jedoch nicht lange arbeiten, zu gross war seine Leidenschaft fürs Tätowieren. So eröffnete er Anfang der 90er-Jahre in Emmen sein erstes Tattoo-Studio. Wenige Jahre später zog er in die Stadt Luzern, wo er seiner Arbeit während rund 20 Jahren nachging. Vor elf Jahren siedelte Steinmann schliesslich nach Sursee um, wo er heute das Studio «Biodelic Art Tattoo» führt.
Der natürliche Schwung der Hand
Das uralte Handwerk des Tätowierens sei einem stetigen Wandel unterworfen, erklärt Steinmann: «Stilarten und Technik entwickeln sich fortlaufend weiter. Und insbesondere das digitale Zeichnen ist bei vielen Tätowierern auf dem Vormarsch.»
Davon ist Steinmann allerdings gar nicht begeistert: «Digital gezeichneten Linien fehlt die Seele. Es ist der natürliche Schwung der Hand, der beim Zeichnen Gefühl ins Motiv hineinbringt.» So gehören neben der Tätowiermaschine vor allem Bleistifte, Kohle, Zeichenblöcke und Folien zu den Werkzeugen und Materialien, mit denen Steinmann tagtäglich arbeitet.
«Bevor ich bei einem Motiv zum ersten Mal zur Tätowiermaschine greife, habe ich vorher bereits etliche Stunden daran gearbeitet.»
Wichtig sei ihm, dass er ein Tattoo gemeinsam mit dem Kunden entwickeln könne – auch wenn dieser abwesend sei: «Wenn ich am Zeichnen bin, sehe ich den Kunden vor meinem geistigen Auge und versuche, seinen Charakter, sein Wesen zu spüren. Nur so entsteht am Schluss ein Kunstwerk, dass er mit Stolz und Ehrfurcht tragen kann.»
Tattoo als durchdachte Kunstform
Heute sei die gesellschaftliche Akzeptanz für Tattoos stark gestiegen, sagt Steinmann. Vorbei seien die Zeiten, als man auf Tätowierte noch mit dem Finger zeigte und man sie als Junkies oder Rocker abstempelte. Seine Kunden kämen aus allen gesellschaftlichen Schichten.
Dazu gehörten Handwerker und Geschäftsleute ebenso wie Ärzte und Polizisten. «Tattoos sind salonfähig geworden. Sie sind heute nicht nur weitgehend akzeptiert, sondern werden als durchdachte und aufwendige Kunstform bewundert.»