Für Rehkitze naht Hilfe aus der Luft
Da jährlich viele hundert Rehkitze in den Schweizer Feldern ums Leben kommen, haben sich es einige Engagierte zur Aufgabe gemacht, diese zu retten. Dafür verwenden sie modernste Technik und scheuen sich nicht, früh aufzustehen.
Die ersten Sonnenstrahlen fallen auf die Felder um den Gurgelwald oberhalb von Traselinge bei Hildisrieden. Das Gras steht hoch – bereit, gemäht zu werden. Christian Röthlisberger öffnet eine schwarze Kiste, in der ein grauer Multicopter zum Vorschein kommt und platziert eine grell-orange Drohnenlandeplattform auf dem Feldweg. Heidi Frey baut währenddessen mit dem Jäger Werner Rüttimann von der örtlichen Jagdgesellschaft Römerswil vier handliche Monitore zusammen und tippt konzentriert auf der Fernsteuerung des Multicopters. Die drei sind ein eingespieltes Team, das ehrenamtlich und mithilfe modernster Technik im Feld versteckte Rehkitze sucht.
Verhängnisvolles Versteck
Da sich die Phasen, in welchen die Grasfelder gemäht werden, und die Setzzeit der Rehe grösstenteils überschneiden, sterben laut dem Schweizer Tierschutz STS jährlich weit über 1500 Rehkitze durch die Klingen von Schweizer Mähmaschinen. Den frisch geborenen Rehkitzen wird ein uralter Trieb zum Verhängnis. «Bei Gefahr drückt sich das Rehkitz eng an den Erdboden und bewegt sich nicht mehr. Versteckt es sich zugleich im hohen Gras einer Wiese, ist es für Feinde somit kaum zu erkennen», erklärt der erfahrene Jäger Rüttimann.
Doch so kann einem Rehkitz auch ein anderer Feind, die Mähmaschine, zum Verhängnis werden. Für die Landwirte ist es von grossem Interesse, dass solche Unfälle verhindert werden, denn es kommen nicht nur grosse Reh-Jungtierbestände ums Leben, sondern durch Überreste der toten Tiere, die beim Silieren ins Futter gelangen, kann als Spätfolge auch ihr Vieh dabei umkommen.
Technik macht Fortschritte
Um das Vermähen der Rehkitze zu verhindern, wurden bisher die bewährten Methoden zur Vergrämung, die sogenannte «Verblendung», verwendet. Dabei stellt man Pfähle mit weissen Tüchern ins Feld, welche die Wildtiere vom Betreten abschrecken sollen. Auch das Durchkämmen des Feldes mit Menschenketten wird oft praktiziert. Einziger Nachteil dabei sei, dass diese Verfahren meistens sehr zeitintensiv und nicht sehr effizient seien, so Röthlisberger. Diese Methoden sollen deswegen aber nicht verunglimpft werden.
Dagegen wurde vor einigen Jahren eine neue, effizientere Methode zur Rehkitzrettung entwickelt. Die sogenannte BFH-HAFL-Methode nutzt die Vorteile der Drohne, des Multikopters, um sich schnell und grossflächig einen Überblick über die zu mähenden Felder zu verschaffen. Dank der daran befestigten Wärmebildkamera lassen sich die Rehkitze auf dem kühlen Untergrund mit einer Erfolgsquote von fast 100 Prozent deutlich erkennen. Damit dies funktioniert, muss der Boden jedoch genügend abgekühlt sein. Deshalb eignen sich die frühen Morgenstunden für die Drohnenflüge am besten. Mit der Erfindung dieser Technik entstand der Verein Rehkitzrettung Schweiz.
Überblick aus der Luft
Will ein Landwirt seine Felder mähen, meldet er sie der örtlichen Jagdgesellschaft und diese wiederum via Webseite von Rehkitzrettung Schweiz dem nächsten Drohnenpiloten. Dieser sucht sie dann am Morgen vor der Mahd mit seinem Rettungsteam ab. Ein Team besteht aus mindestens einem ausgebildeten Drohnenpiloten und einem Jäger der örtlichen Jagdgesellschaft. Die angegebenen Felder können vorher ins digitale Flugprogramm der Drohne eingespeist und die Route kann systematisch vorausgeplant werden.
Erkennt man während des Flugs einen verdächtigen Punkt, so wird die entsprechende Stelle auf der digitalen Karte des Kopter-Controllers markiert und kann anschliessend einfach zurückverfolgt werden. «Auch schon waren vermeintliche Kitze einfach Katzen, die im Feld auf Mäusejagd waren», lacht Drohnenpilotin Heidi Frey. Der Jäger, der einzig dazu berechtigt ist, das Kitz aus dem Feld zu tragen, macht dies dann mit Grasbüscheln, damit kein Fremdgeruch an die Jungtiere gelangt.
Einmal aus dem Feld heraus, wird das Kitz jedoch nicht zurück in den Wald gescheucht, sondern vorzugsweise unter einem Harass am schattigen Waldrand gesichert und mit einer weissen Fahne markiert. Dies zum Schutz der Tiere, da diese jede Gelegenheit nutzen, um wieder zurück ins gefährliche Feld zu kommen. Nach dem Mähen werden alle Harasse kontrolliert und die Kitze wieder freigelassen.
Sechs Augen, kein Kitz
Inzwischen lässt das Dreierteam das insgesamt mehrere tausend Franken teure Fluggerät in die Luft steigen. In der Höhe von rund 40 Metern über dem Boden bleibt die Drohne stehen und fliegt zielgerichtet auf einen bestimmten Punkt am anderen Ende des Feldes zu. Das leise Summen der Rotoren ist schon bald nicht mehr zu hören. Auf den couvertgrossen Monitoren sind die drei Rehkitzretter zeitweise als einzige helle Punkte zu sehen.
Mit gleichmässigen elf Stundenkilometern fliegt der Multikopter im Autopilot-Modus seine vorprogrammierte Route ab, während der Jäger und die zwei Drohnenpiloten mit scharfem Auge die Monitore nach Wärmepunkten im Feld absuchen. Nach wenigen Minuten ist der Spuk vorbei und Heidi Frey landet die Drohne punktgenau auf der Landestation. Die Monitore blieben dunkelblau. Keine Spur eines Kitzes in dem abgesuchten Feld und somit grünes Licht für den Mähtag des Landwirts.
Info
Der gemeinnützige Verein Rehkitzrettung Schweiz wurde im Jahr 2017 gegründet. Sein Ziel ist es die Rettung der Schweizer Rehkitze mit Hilfe von Multikoptern zu fördern, indem intensiv neue Rettungsteams ausgebildet werden, man grossflächig zur Problematik informiert und die vorhandenen Methoden weiterentwickelt. Der Verein finanziert sich von Spenden und seine Mitglieder arbeiten ehrenamtlich. Im letzten Jahr durfte er einen erfreulichen Anstieg an Mitgliedern und Kitz-Funden verzeichnen.