In der Region sank der Flächenbedarf pro Kopf früher als im übrigen Kanton
Lustat-Direktor Norbert Riesen spricht im Interview über die Schwierigkeit, Zersiedelung fassbar zu machen, hochwertige Lebensräume und gute interkommunale Zusammenarbeit im Raum Sursee.
Norbert Riesen, früher war von der «Hüslipest» die Rede, heute von Zersiedelung. Wie lässt sich das Phänomen in Worte oder Zahlen fassen?
Schwierige Frage. Um die Zersiedelung zu messen, gibt es keine klare Kennzahl. Bis auf Ebene der Gemeinden existieren Zahlen zu Siedlungsflächen und zur Entwicklung der Bevölkerung. Daraus abgeleitet ergibt sich die Siedlungsfläche pro Kopf, die in der Diskussion über Zersiedelung oft als Massstab beigezogen wird.
Wie haben sich die Siedlungsflächen und der Pro-Kopf-Bedarf im Kanton Luzern in den vergangenen Jahren entwickelt?
Je nach Region ganz unterschiedlich. In absoluten Zahlen hat die Siedlungsfläche im ganzen Kanton zwischen 1980 und 2016 von knapp 11’000 Hektaren auf über 15’000 zugenommen. Die Siedlungsfläche pro Kopf stieg zwischen 1980 und 2007 von 359 auf 395 Quadratmeter. Interessant ist, dass der Pro-Kopf-Bedarf in den vergangenen zwölf Jahren wieder auf 383 Quadratmeter gesunken ist.
Woran liegt das?
Zum einem am rasanten Bevölkerungswachstum der vergangenen Jahrzehnte: Steigt die Bevölkerungszahl im selben Masse, wie der Pro-Kopf-Bedarf abnimmt, stabilisiert sich die benötigte Siedlungsfläche. Andererseits sind die Gemeinden gehalten, in ihren Bauzonen verdichtet zu bauen. Ersichtlich ist das aktuell in Kriens oder Sursee, wo institutionelle Anleger im grossen Stil bauen.
Das Einfamilienhaus wird zum Auslaufmodell.
Tendenziell ja, was sich insbesondere im steigenden Anteil der Eigentumswohnungen am Immobilienmarkt zeigt. Verdichtetes Bauen bedeutet aber nicht nur Bauen in die Höhe. Bessere Erschliessung durch den öV, ein geringeres Parkplatzangebot in Überbauungen sowie die Veränderung der Haushaltsstruktur tragen ebenfalls dazu bei, dass der Flächenbedarf pro Kopf am Sinken ist.
Gilt das auch für die Region Sursee?
Ja, in besonderem Masse. In der Region Sursee und Sempachersee stagniert der Flächenbedarf pro Kopf seit den 80er-Jahren, seit den Nullerjahren ist er markant gesunken – bedeutend früher als im übrigen Kantonsgebiet. Betrug er 1980 noch 513 Quadratmeter pro Kopf, liegt er heute bei 472. Ein klares Indiz dafür, dass in dieser Gegend im Vergleich zum Kanton stärker verdichtet wurde.
Norbert Riesen, Direktor Lustat. Foto zVg
Wie gross sind die Unterschiede zwischen den restlichen Regionen des Kantons, was die Siedlungsflächen anbelangt?
Der Kanton betreibt eine aktive Politik bei der Förderung von regionalen Zentren. So hat sich die Zentrumsfunktion von Sursee stark auf die Verdichtung ausgewirkt. In der Stadt Luzern, in der Agglomeration sowie entlang der Y-Achse Surental–Rontal ist der Flächenbedarf pro Kopf ebenfalls zurückgegangen, wobei die Verdichtung erst jetzt so richtig sichtbar ist. Eine grosse Rolle bei der regionalen Entwicklung und Verdichtung spielt der öV. Hier haben beispielsweise Sursee und Zofingen stark von der direkten Verbindung Luzern–Bern profitiert. Das Verdichten von anderen Zentren, Schüpfheim oder Wolhusen zum Beispiel, ist anspruchsvoller.
Die gesamte Siedlungsfläche wird künftig aber weiter wachsen.
Ja, aber gebremst. Hier spielen auch wirtschaftliche Perspektiven eine Rolle. Eine rückläufige Konjunktur würde die Entwicklung dämpfen.
Interessant ist ja, dass parallel zum Siedlungswachstum auch der Anteil der Erholungs- und Grünanlagen gewachsen ist – zwischen 1980 und 2016 um ganze 70 Prozent.
In den 70er- und 80er-Jahren gab es in Ostermundigen, wo ich aufwuchs, praktisch nur Reihenbauten – Haus an Haus an Haus. Heute ist das Bewusstsein für qualitativ hochwertige Lebensräume grösser, es wird gesamtheitlicher geplant. Ein grosser Investor ist eher gewillt, Innenräume, Bänke, Grünanlagen oder Spielplätze zu realisieren.
Die gesamte Bauzone im Kanton hat seit der erstmaligen Erhebung 1991 zugenommen. Grössere Bauzonenreserven finden sich prozentual gesehen eher in den ländlichen Gebieten. Sind Rückzonungen ein Mittel, um die Zersiedelung einzudämmen?
Der Anteil der nicht überbauten Bauzonen hat im gesamten Kanton seit 1991 abgenommen. Heute finden gute Diskussionen auf regionaler Ebene statt, zum Beispiel in den regionalen Entwicklungsträgern, wo welche Überbauungen für welche Nutzer Sinn machen. Der sinkende Pro-Kopf-Bedarf an Siedlungsfläche im Raum Sursee kann auch darauf zurückgeführt werden, dass die interkommunale Zusammenarbeit und Planung gut funktionieren. Damit steigt der Druck auf die Gemeinden, schlecht eingezonte Gebiete rückzuzonen.