Das ganze Leben für eine wohnliche Welt
Wie sähe eine Wirtschaft aus, bei der das Wohl der Menschen und nicht das Geld im Zentrum steht? Dies macht ein neuer Stationenweg in Sursee sinnlich erfahrbar und regt zum Nachdenken an. Er wurde am Pfingstsamstag gestartet.
Beim Bahnhof Sursee begrüsste Stadtführer Georges Zahno die 14 erlaubten Gäste zur corona-konformen Führung durch Sursee und stellte den Ablauf vor. Jede der 15 Stationen ist einem bestimmten Aspekt der Wirtschaft gewidmet und zeigt, wie Menschen für sich, für andere und für die Welt sorgen. Es geht z.B. um geboren werden, sterben, schützen, Kultur schaffen, lernen, arbeiten, pflegen.
Kurze Infos geben Einblick in die historische und aktuelle Bedeutung des Orts im Zusammenhang mit der Wirtschaft. Die Inputs der Theologin und Philosophin Ina Praetorius zeigen, wie eine Wirtschaft gestaltet werden müsste, bei der die Fürsorge und nicht der Profit im Mittelpunkt steht. Damit wollte sich am 5. September 2020 die Siebte Frauensynode in einem Grossanlass in der Stadthalle Sursee auseinandersetzen. Da dies wegen der Pandemie nicht möglich war, hat das Team der Frauensynode den Stationenweg in Zusammenarbeit mit den Stadtführungen Sursee entwickelt und dazu eine anschauliche Broschüre verfasst.
Sorgfalt mit Mensch und Natur
Darin heisst es bei der Station vor der ehemaligen Landwirtschaftlichen Schule: «Alles, wovon wir leben, entsteht in der Natur. Eine carezentrierte Landwirtschaft produziert unter fairen Arbeitsbedingungen Lebensmittel für alle Menschen. Boden, Tiere und Nahrung dürfen nicht als Waren benutzt werden, sondern als notweniger Teil unseres Lebens, mit dem wir achtsam umgehen, damit die Erde auch in Zukunft fruchtbar bleibt.»
Beim Haus der ehemaligen Hebamme Marie Steiger erzählte Georges Zahno, wie diese über 1000 Kindern auf die Welt geholfen hatte. «Wir müssten die Wirtschaft vom neu geborenen Kind und seinen Bedürfnissen her denken», erklärte Ina Praetorius. Sie zeigte auf, dass die damit verbundene Sorgearbeit in keiner Statistik auftauche, da sie als Privatsache gelte. Dies müsse dringend geändert werden.
Viele Gebäude besucht
Der Weg führte weiter über den idyllischen Ehret-Park, das ehemalige Obertor, das Kleintheater Somehuus, den Platz zur Farb und das ehemalige Kapuzinerkloster bis zum Haus zur Spinne am Herrenrain, der früheren «Schulmeile» von Sursee. Gemäss Ina Praetorius braucht es unter dem Care-Aspekt ein kompetenzorientiertes Lernen, das sich auf das gute Überleben aller Menschen im verletzlichen Raum Erde ausrichtet. Nötig sei auch ein vermeintlich nutzloses Lernen aus Neugier und Freude. Dieses helfe uns, das zu werden, was wir sind und trage dazu bei, kreativ die Welt mitzugestalten.
Gedanken zum Arbeiten machten sich der Historiker und die Philosophin vor dem Untertor neben dem Wirtshaus «Wilder Mann». Seit über 500 Jahren würden hier Gäste empfangen und bewirtet. Das sei, wie viele andere Tätigkeiten, mit sehr viel Arbeit verbunden.
Gemäss «Wirtschaft ist Care» umfasst Arbeit ein Bündel von Tätigkeiten, die es braucht, damit das Zusammenleben der Menschen Bestand hat. Doch werde diese Arbeit heute zweigeteilt in bezahlte Lohn- und unbezahlte Care-Arbeit. Lohnarbeit gelte als die eigentliche Arbeit. Die un- und unterbezahlte Care-Arbeit werde dagegen oft unsichtbar gemacht, sei aber überlebenswichtig. Care bedeute deshalb, die Arbeitsteilung so zu organisieren, dass die Sorge füreinander im Zentrum stehe.
Ein Weg mit kleinen Schritte
Nach einem Halt beim Rengglihaus, wo gewohnt und gearbeitet wird, galten die Impulse vor dem 1818/19 erbauten Stadtspital (seit 1935 Bürgerheim genannt) dem Pflegen und Gesunden. Letzte Station des ebenso anregenden wie abwechslungsreichen Rundgangs war der Surseepark, das grösste Einkaufszentrum der Region. Eine der Teilnehmerin fragte, wie sich die Umsetzung der wünschenswerten Vorstellung einer Wirtschaft mit Care im Zentrum geschehen könne. «Wie wir sind viele andere Organisationen und Gruppierungen mit einem ähnlichen Ziel unterwegs. Es ist ein Weg mit vielen kleinen Schritten», meinte Ina Praetorius vom Team der Frauensynode zuversichtlich. Nach herzlichen Dankesworten an alle Beteiligten sowie an Stadträtin Heidi Schilliger für ihre Unterstützung meinte diese: «Das Thema ist auch bei uns gesetzt. Wir sind dran.»
Broschüre als Grundlage
Der Stadtrundgang kann gebucht oder jederzeit mit der Broschüre allein oder in Gruppen begangen werden. Zudem ist er so konzipiert, dass er auch für andere Orte übernommen und neu aufgebaut werden kann. Die von Ina Praetorius, Feline Tecklenburg und Georges Zahno verfasste Borschüre mit lustvollen Comics von Kati Rickenbach kann auf der Website heruntergeladen oder bestellt werden.