13.05.2021

Goethes Faust auf dem Sofa geniessen

von David Lienert

Das Freifach Theater führt Ende Mai Goethes weltbekannten Klassiker «Faust I» auf. Wegen der Einschränkung der Besucherzahl können nur ausgewählte Klassen die Aufführung geniessen. Doch alle können sich die Aufzeichnung des Theaterspiels als Video mit dem eigenen Home-Entertainment zu gönnen.

Zu Beginn des Stücks diskutieren eine «lustige Person», gemeint ein Schauspieler, ein Theaterdirektor und ein Autor darüber, was ein gutes Stück auszeichnet. Ihre Ansichten gehen weit auseinander: Für den Autor kann das Stück nicht schräg genug sein – Hauptsache, er kann sich künstlerisch verwirklichen. Der Schauspieler möchte sich wieder als Komödiant sehen – Hauptsache, das Publikum bewundert ihn. Und der Direktor hat nur eins im Sinn – Hauptsache, das Stück auf dem Spielplan ist massentauglich und er kann Kasse machen.

Regisseur Dieter Ockenfels zeigt sich bei der Probe dieses Vorspiels besorgt um den nötigen Feinschliff: «Du musst dich ins Zentrum stellen, lichtbedingt!» Oder: «Ihr braucht doch für Textunsicherheiten euer Handy nicht mehr – legt es einfach beiseite.»

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Liebesstory zwischen Faust und Gretchen

Nach dem Vorspiel provoziert Mephisto oder der Teufel, der sich auch wieder einmal zu den lobhudelnden Erzengeln gesellt, Gott im Himmel: Die «Krone» seiner Schöpfung, der Mensch, sei aber krass misslungen. Und dies beweise er ihm nun an einem Beispiel: Er wolle Gotts «Lieblingsknecht» auf Erden, Faust als Musterbeispiel eines edlen Menschen, verführen und auf seine Seite ziehen. Gott, selbstsicher, dass Faust selbst der sich bei ihm einschleimende Teufel nicht «vom rechten Weg» abbringen kann, gibt sein Okay.

Tatsächlich aber beginnt Faust, der modern ausgedrückt ein wandelndes Wikipedia-Lexikon ist, moralisch bald so richtig zu schleudern. Ein erstes Schleudern hatte sich allerdings bereits zuvor abgezeichnet, da Faust seines Wissens und seiner miefigen Studierkammer überdrüssig wird. Was nützt es mir, so rätselte er vor sich hin, wenn ich alles weiss und stets «nur so klug als wie zuvor» bleibe? Besser wäre es wohl, ich mache meinem Leben ein Ende. Schon setzte er ein giftgefülltes Fläschchen an seine Lippen – da erklangen die Osterglocken und er liess es sein.

Pakt mit dem Teufel

Zunächst bleibt Faust – er hatte sich zwischenzeitlich mit dem Teufel eingelassen, der ihm in Gestalt eines Pudels erschienen war - standfest. Bei der alkoholgetränkten Studentenparty, die in «Auerbachs Keller» wütet, zeigt er sich absolut unberührt vom «Weinwunder»: Mephisto kann dank seiner übersinnlichen Kräfte jeden erdenklichen edlen Tropfen für die schluckfreudigen Studenten hervorzaubern.

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Bald jedoch lässt er sich von einer Hexe, einer guten alten Bekannten Mephistos, verjüngen. So sieht er wieder attraktiv aus – beste Voraussetzung, um sich dem naiven und kirchenfürchtigen Gretchen anzunähern. Dies gelingt ihm, indem er seine Flamme mit heimlich in ihrem Zimmer deponiertem Schmuck überhäuft. Rasch spitzt sich nun die Tragödie zu: Gretchen wird nach der ersten gemeinsamen Nacht schwanger. Zuvor mussten die beiden Liebenden Gretchens Mutter einschläfern, damit sie vom körperlichen Vergnügen ja nichts mitbekam. Sie sollte niemals mehr aus diesem Schlaf erwachen.

Doch in den Himmel

Uneheliche Schwangerschaft ist in der damaligen Gesellschaft ein No-Go; Gretchen, total verzweifelt, ertränkt ihr Baby. Die Folgen sind hart: Sie kommt als Kindsmörderin in den «Kerker». Auf den theatralischen Befreiungsversuch Fausts und des Teufels, die mit einem Zauberpferd ins Gefängnis fliegen, geht sie nicht ein. Sie will sich vielmehr ihrem Schicksal fügen. Gut nur, dass «eine Stimme von oben», tief und sonor, stammt sie doch von Gott selbst, ertönt und verkündet, Gretchen sei gerettet. Sie bekommt zwar für ihr Vergehen die Todesstrafe. Danach werde sie jedoch in den Himmel aufgenommen.

Für Faust sieht es trotz der verzweifelten Versuche, seine Midlife-Crisis in den Griff zu bekommen, düster aus: Er weiss, dass er definitiv auf der abschüssigen Bahn ist – einer Bahn, aus der er sich im ersten Teil der Tragödie nicht mehr befreien kann. Und dies, obgleich er den Satz, «Verweile doch, oh Augenblick, du bist so schön!», bewusst nie geäussert hat. Mit diesem Satz nämlich hätte er seine Seele unwiderruflich dem Teufel, dem Bösen, verschrieben.

Und dass da noch eine Leiche im Keller liegt, kann er auch nicht mehr rückgängig machen. Gretchens Bruder Valentin wollte sich in einem handgreiflichen Duell rächen an der Schande, die Faust über die Familie gebracht hatte. Blitzschnell half Mephisto Faust, dessen Hand im Kampf alsbald erlahmte, Valentin den Todesstich zu versetzen.


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