Josef Ruckstuhl führt seine Antik Brocki «Don-José» seit 40 Jahren. (Foto Livia Kurmann)
Josef Ruckstuhl führt seine Antik Brocki «Don-José» seit 40 Jahren. (Foto Livia Kurmann)
29.11.2020

Im Wassergraben verborgen liegen Schätze

von Livia Kurmann

Dass alte Sachen nicht in den Müll gehören, hat Josef Ruckstuhl schon als kleiner Bub gewusst. Als Erwachsener eröffnete er die Antik-Brocki «Don-José» in Sursee.

Es riecht süss, nach altem Parfum oder Räucherstäbchen. Genaues Einordnen fällt schwer. Der Duft ist vertraut und geborgen. Französische Volksmusik begleitet Josef Ruckstuhl durch die Halle und wird leiser, je tiefer er in die Antik-Brocki eintaucht. Seit 40 Jahren ist er im Sammlergeschäft. Erst an der Centralstrasse mit einem kleinen Lädeli und einer Scheune, heute am Wassergrabe 25 mit einer 1000 Quadratmetergrossen Halle. Hätte er mit dem Laden damals kein Bedürfnis getroffen, wäre er heute nicht hier, ist er sich sicher.

«Bei uns läuft immer etwas. Aber nicht mehr so wie früher», sagt er. Dass nichts mehr wie früher ist, wird er im Laufe des Gesprächs noch mehrmals sagen. Ruckstuhl ist nun 75, seine Frau Lilia 65. Bis 80 mache er noch. Wenn es ihm dann noch gut gehe, fünf weitere Jahre. Ob es ihm schwer falle, diesen Ort loszulassen? «Nein», sagt er. «Ich weiss einfach nicht, was ich sonst machen soll. Ich brauche Bewegung und Kontakt».

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Die Sicht vom Obergeschoss aus. Die chinesischen Lampen kaufte Josef Ruckstuhl dem ehemaligen Besitzer des Restaurants Szechwan in Geuensee ab. (Foto Livia Kurmann)

Klauen ist billig

Die Antik-Brocki «Don-José» erstreckt sich über zwei Stockwerke. Die Ladenfläche ist überstellt, wo das Auge hinblickt türmen sich Möbel, Bilderrahmen, Schallplatten, Regale voller Bücher, alter Telefone, Geschirr, Spielzeug oder Kleidung. In verschlossenen Vitrinen liegen antike Schmuckstücke, Armbanduhren, Handorgeln, Toaster, Telefone, Radios, Spielfiguren. Er zeigt auf eine Vitrine mit Silberbesteck und Glaskaraffen. «Manchmal kommt eine Gabel oder ein Flaschendeckel weg. Es wird viel geklaut. Aber klauen ist billiger als eine Kameraüberwachung.»

Eine schmale Treppe führt ins Obergeschoss. Von dort aus führen drei Wege in das Labyrinth aus alten Gegenständen. Die «Wände» hoch, zusammengepflastert aus Regalen, Kinderwagen, Schreibmaschinen, Gemälden. Fast wie im Paradies. «Ja», nickt Ruckstuhl. «Das sagen alle.»

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Container in die Heimat

An seine Ware kommt Ruckstuhl über Nachlässe. Anders komme man kaum mehr an Antiquitäten. Die Zeiten seien vorbei. Heute würden die Jungen die Sachen aussortieren und im Internet verkaufen, erzählt er, während er durch die Gänge führt. Hie und da tippt er auf einen Gegenstand und erzählt eine Geschichte dazu, erwähnt, welche Sachen begehrt sind und welche nicht. «Möbel sind ganz schwierig», er zeigt auf einen Turm aus Kommoden, Sekretären, Stühlen, Buffets und Tischen, nennt Epochen wie Biedermeier oder Renaissance. «Es liegt nicht am Preis, es ist einfach im Moment nicht in».

Gerade wenn man denkt, man hätte alles gesehen, schiebt Ruckstuhl ein paar Gegenstände zur Seite, öffnet eine neue Tür, die in einen weiteren Raum führt. Auf einem Regal liegen Wanduhren, Kaminuhren, Armbanduhren, Taschenuhren. Auch diese gingen momentan kaum weg, sagt er. In den 80er- und 90er-Jahren sei das Brockenhausgeschäft besser gelaufen. «Das war eine Zeit, in der die Leute alles gekauft haben. Matratzen, Wohnwände, einfach alles», erzählt er. «Da waren sie froh über jedes Möbel, dass sie günstig erwerben konnten. Ich musste höchstens zehn Prozent vor einer Räumung wegwerfen. Heute ist es umgekehrt.»

Was zu lange in der Halle stehen bleibt, packen Ruckstuhl und seine Frau in Kisten und schicken es auf die Philippinen. Ein ganzer Container voll geht jedes Jahr in Lilias Heimat.

Josef und Lilia Ruckstuhl sind seit 39 Jahren verheiratet. (Foto Livia Kurmann)

Gebrauchte Sachen haben wert

Ein Händchen fürs Handeln hatte Ruckstuhl schon immer. Als 1.-Klässler verkaufte er einem Kameraden vier Kinderwagenräder für einen Fünfliber. Sein Kamerad baute eine Seifenkiste damit. Ruckstuhl reparierte Fahrräder und sammelte auf Baustellen altes Blei, das er dem Alteisenhändler verkaufte. Der Gewinn schenkte er seiner Mutter. «Das Geld hat mich nie interessiert. Tut es bis heute nicht. Wenn ich Geld kriege, investiere ich es wieder», sagt er. Wie in das Alteisen, dass er im letzten Jahr in den Spanienferien ergattert hat. Er zieht ein iPhone aus der Hosentasche, zeigt Fotos von alten Gartenhägen und Eingangstoren. «Schmiedeisen», erklärt er. «Sehr begehrt.» Die Leute wollten es zur Gartendekoration.

Was ebenfalls immer «weggehe», seien Lampen, Geschirr, chinesische Gegenstände, afrikanische Kunst, Teppiche aus Naturfarben oder Kuriositäten. Sachen mit Seltenheitswert.

Frassons Sicht der Fasnacht

Zurück in der Eingangshalle zeigt Ruckstuhl auf sein Lieblingsstück. Ein etwa drei Meter langes Plakat mit Stier und Torero drauf. Ein Original aus dem Jahr 1945, Ruckstuhls Geburtsjahr. «Gut, nicht?». Er macht eine abwehrende Handbewegung. Den Stierkampf unterstütze er nicht. Die anderen Plakate habe er verkauft. 1000 Franken sei das 1945er-Plakat wert. «Alles, was schnell kaputt geht, ist mehr wert als das, was hält.» Ob er das Plakat verkaufen würde? Er schüttelt den Kopf. «Nicht unbedingt.»

Der «Torero» aus Spanien ist Ruckstuhls liebstes Sammelstück. (Foto Livia Kurmann)

Das teuerste Stück in Ruckstuhls Sammlung ist ein Bild der Luzerner Fasnacht, das aus drei Teilen besteht. «Triptychon» nenne man das. Gemalt hatte es der verstorbene Luzerner Künstler Tonio Frasson. Der Erstkäufer bezahlte 32’000 Franken dafür. Nun gehört es Ruckstuhl, der dessen aktuellen Wert auf 10’000 Franken schätzt.

Das dreiteilige Luzerner Fasnachtsbild ist der teuerste Gegenstand in seiner Antik Brocki. Es stammt vom verstorbenen Luzerner Künstler Tonio Frasson. (Foto Livia Kurmann)

Brocki und Museum zugleich

Die Führung geht zu Ende, Ruckstuhl führt in den Eingangsbereich zurück, wo Lilia gerade Schmuck in einer Vitrine arrangiert. Alle paar Wochen räumt sie die Regale aus, holt Kisten mit neuer Ware aus dem Lager und räumt die Regale wieder ein. Die Besucher sollen eine Abwechslung haben, sagt sie. Viele kämen in die Brocki, um sich einfach nur umzusehen.

Auch der Rundgang wurde einige Male durch die Türklingel unterbrochen, obwohl montags Ruhetag ist. «Macht nichts, wir sind ja eh da», winkt er ab. Die Ruckstuhls verbringen mehr Zeit in der Brocki als in ihrem eigentlichen Zuhause in Ruswil. «Einen Tag nicht hier zu sein …» Er lässt den Satz unvollendet.

Was aus all dem wird, wenn Ruckstuhl die 85 plus erreicht hat? Seine Tochter würde die Räumlichkeiten übernehmen, das Brockigeschäft jedoch nicht, sagt er. Auch sein Sohn schätze die alten Sachen, habe aber einen eigenen Beruf. Diesmal zieht Lilia ihr Telefon hervor und zeigt Fotos ihres zwei Monate alten Enkelkinds. «Das ist der Nachfolger», sagt Ruckstuhl und lacht.

Info

Vom Matrosen zum Sammler

Josef Ruckstuhl (75) ist gelernter Matrose. Vier Jahre hat er in Basel gearbeitet, ehe er die Zweitlehre als Drucktechnologe machte. Später führte er einen Autoabbruch in Spreitenbach, seinem Heimatort. Als er aufgrund von Grundwasser seine Werkstatt aufgeben musste, zog es ihn nach Luzern und wenig später nach Sursee, wo er 1980 seine erste Brocki an der Centralstrasse eröffnete. Die Brocki führte er nebenberuflich als Hobby. 2002 zügelte er die Brocki an den Wassergraben 25. Er ist verheiratet mit Lilia Ruckstuhl, mit der er zwei Kinder hat.


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