Das Luzerner Kantonsspital Sursee bei Nacht (Symbolbild).  (Foto Suwo)
Das Luzerner Kantonsspital Sursee bei Nacht (Symbolbild).  (Foto Suwo)
15.03.2020

Pflegende haben Angst, nicht mehr nach Hause zu können

von Livia Kurmann

Was es heisst, in der Pflege zu arbeiten. In Zeiten des Coronavirus und den restlichen 365 Tagen im Jahr. Eine Kolumne frisch von der Seele einer Ehemaligen.

Sie machen einen Knochenjob. Diplomierte Pflegefachfrauen, Fachpersonen Gesundheit und Betreuung, Pflegeassistenten. Physisch und manchmal auch psychisch herausfordernd ist er. Die Rahmenbedingungen sind nicht jedermanns Sache: Unflexible Arbeitszeiten, auf den Spätdienst folgt nicht selten ein Frühdienst. Drei bis vier Wochenenden im Monat arbeiten. Nachtwachdienst. Kurz: diese Frauen und Männer geben alles. Jeden Tag aufs Neue. Und nicht immer ernten sie Dank dafür.       

« Diese Frauen und Männer geben alles. Jeden Tag aufs Neue. Und nicht immer ernten sie Dank dafür.»
  

Um 7 Uhr beginnt die Arbeit. In die Patientendossiers eingelesen wird bereits um 6.30 Uhr. Die halbe Stunde, die alle früher kommen, wird oft nicht als Überzeit gutgeschrieben. Sie wird dem Betrieb geschenkt. Um acht bis neun Patienten kümmert sich jede Diplomierte Pflegefachfrau täglich. Zwölf bis vierzehn, wenn sie noch Neueintritte und Austritte koordinieren muss.

aaa

Medikamente verabreichen, Blutentnahmen durchführen, den Patienten waschen und anziehen, Gespräche führen, Wundverbände wechseln, Infusionen verabreichen, Patienten in den OP bringen, Angehörigengespräche, Arztvisite. Dazwischen 15 Minuten Pause, wenn es der Arbeitsvertrag erlaubt. Je nach Betrieb gibt es gar keine. Mittags 30 Minuten Essenszeit, aber nur, wer dafür im vollen Terminplan Zeit findet. Die anderen essen, wenn es gerade passt.

«In Zeiten des Coronavirus ist die Pflege noch mehr gefordert als sonst schon. Die Bettenzahlen werden bereits ausgebaut, Isolierstationen vergrössert.»
  

Um 16 Uhr ist Feierabend. Im besten Fall ist dann alle Arbeit getan. Meist folgt aber noch der administrative Teil der Arbeit. Patientendossiers evaluieren, ergänzen, den Tagesverlauf notieren und schliesslich noch abrechnen. Am Computer wird jede Tätigkeit, die am Patienten vorgenommen wurde, eingegeben.

In Zeiten des Coronavirus ist die Pflege noch mehr gefordert als sonst schon. Die Bettenzahlen werden bereits ausgebaut, Isolierstationen vergrössert. Operative Eingriffe werden verschoben, damit Kapazitäten frei werden. Mit der steigenden Anzahl Infizierter ist es nur eine Frage der Zeit, bis täglich mehr Personal aufgeboten werden muss. Bis Pflegepersonen mit 100%-Pensum vielleicht über Nacht im Personalhaus bleiben müssen. Und aus 100% plötzlich mehr werden.

bbb

«Sie haben Angst, nicht mehr nach Hause zu können. In ‘den Dienst eingezogen’ zu werden.»
  

Die Sorgen und Ängste der Pflegenden wachsen. Nicht weil sie permanent dem Risiko ausgesetzt sind, sich anzustecken. Nicht weil sie Angst haben, krank zu werden. Die meisten fürchten sich nicht vor dem Virus. Für sie gehört diese Gefahr zum Alltag.

Sie haben Angst, nicht mehr nach Hause zu können. In «den Dienst eingezogen» zu werden. Im Personalhaus oder im Hotel nebenan einquartiert zu werden und das für längere Zeit. Dass ihr Privatleben pausieren muss. Und ihr Wohlbefinden hinten ansteht.

Was also können wir anderen tun? Die Menschen, die abseits der Gesundheitsbranche arbeiten und bestenfalls die Möglichkeit haben, Homeoffice zu machen? (Abgesehen davon, auf Hamstereinkäufe auf Desinfektionsmittel und Masken zu verzichten, und es denen zu überlassen, die es am nötigsten brauchen, nämlich die Spitäler und Altersheime). 

«Denn die Pflegenden geben jeden Tag 110 Prozent. Mit oder ohne Coronavirus.»
  

Wir können dankbar sein und unsere Wertschätzung äussern. Nicht nur in den kommenden Wochen oder Monaten, wenn sich die Coronavirus-Situation weiter zuspitzt. Sondern auch in Zukunft, wenn wieder etwas Ruhe eingekehrt ist.

Denn die Pflegenden geben jeden Tag 110 Prozent. Mit oder ohne Coronavirus. Sie verdienen unseren Respekt – jeden Tag. Und nicht nur, wenn wir gerade krank sind und ins Spital müssen.

Diese Wertschätzung sollte auch in der Politik mehr zum Tragen kommen. Indem sie sich für bessere Rahmenbedingungen für Pflegepersonen einsetzt. Indem sie den Gürtel nicht immer enger schnallt. Die Mitarbeitenden nicht auffordert, ihre Arbeit noch effizienter zu erledigen, Abläufe zu beschleunigen, um damit Gesundheitskosten zu sparen. Denn dabei geht nicht nur das Zwischenmenschliche zwischen Pflegeperson und Patient verloren, sondern auch die Ressource Mensch wird erschöpft. Vielen Pflegepersonen geht die Energie aus. Manche wechseln den Beruf. Andere kämpfen sich weiter durch, obwohl die Freude am Beruf langsam schwindet.

Aber für den Moment, lasst uns «Danke» sagen. Danke für die Geduld, die Ausdauer, die Flexibilität, die Pflegende an den Tag legen. Für ihren Einsatz rund um die Uhr. Und dafür, dass sie zu Zeiten des Coronavirus an vorderster Front stehen. Und dass sie sich täglich aufs Neue für diesen Beruf entscheiden.


Schon gelesen?

Anzeigen

Zum E-Paper

Lesen Sie unser wöchentlich erscheinendes E-Paper und tauchen Sie ein in spannende Reportagen, Politkrimis und erfahren Sie das Neuste aus Ihrer Gemeinde.

zum ePaper

Meistgelesen

Instagram