23.05.2019

Können Bienen auch Haustiere sein?

von Livia Kurmann

Der Chnuteler Imker Severin Hummel versteht sein Handwerk. Er ist praktisch der Bienenflüsterer. Mit dieser Zeitung bestückte er vier Bienenvölker mit Königinnen, die er selbst gezüchtet hat.

Kaum geschlüpft und bereits Herrscherin eines Volkes. Noch unsicher auf den Beinen krabbelt die Königin über den Finger von Imker Severin Hummel. Vor etwa einer Stunde ist sie aus ihrer Honigwachszelle ausgebrochen. Früher als die drei anderen Königinnen, die noch in der Kühltasche schlafen.

Sorgsam greift Hummel die Königin und steckt sie in ihre Zelle zurück. Sie ist bereit, ihre Arbeiterinnen und Gatten kennenzulernen. Das Summen, das aus der Beute klingt, schwillt an, als Hummel den Deckel öffnet. «So laut summt nur ein Volk, das keine Königin hat», sagt er. An dem mit Waben gespickten Brutrahmen tummeln sich dutzende Bienen. Kurzerhand steckt er die Zelle auf einen mit Brut besetzten Rahmen und deckt die Beute wieder zu. An der Königin liegt es nun, ein neues Volk zu schaffen. 

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Vor seinen Bienen fürchtet sich Severin Hummel nicht. «Böse» Eigenschaften liessen sich mit der Auslese wegzüchten. 

Respekt vor der Sache

Mit einem Stumpen im Mundwinkel und einer Mini-Kühltasche in der Hand läuft Severin Hummel durch den Bienengarten. In der Tasche hat er drei weitere Bienenköniginnen, die in den nächsten Stunden schlüpfen werden.Eine nach der anderen setzt er sie in verschiedene Beuten. Handschuhe trägt er dabei nicht. Auch keiner dieser Astronautenanzüge, wie man sie im Fernsehen sieht. «Die Medien zeigen ein falsches Bild», so Hummel. «Wenn man sich schützen muss, hat man keinen Respekt vor der Sache. Und wenn man keinen Respekt hat, kommt vom Gegenüber nichts Gutes zurück. Wie bei den Menschen.»

Er zieht am Stumpen und bläst den Bienen den Rauch entgegen. Daraufhin ergreifen einige die Flucht. Einzelne Bienen, die noch am Brutrahmen kleben, schiebt er sanft beiseite. Als spürten sie seine Absicht, lassen sie ihn gewähren. Einmal wird er gestochen, doch Hummel zuckt nicht mal mit der Wimper.

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«Wenn man sich schützen muss, hat man keinen Respekt vor der Sache. Und wenn man keinen Respekt hat, kommt vom Gegenüber nichts Gutes zurück.»
Severin Hummel

Nummer 43 ist die Älteste 

Hummel zieht einen Brutrahmen aus der Beute und sucht im Gewirr aus Bienen nach 43, seiner ältesten Königin. Die Nummer auf ihrem Panzer macht sie im Bienenschwarm leicht erkennbar. Mit ihren fünf Jahren ist sie nicht mehr so tüchtig wie die anderen. Hummel behält sie, damit sie ihre guten Gene an neue Königinnen weitergeben kann. Früher oder später wird sie durch eine neue Königin ersetzt.

Anders als in richtigen Monarchien, wird die Biene nicht durch familiäres Erbe zum Staatsoberhaupt gekürt. Inder freien Natur entscheiden die weiblichen Arbeiterbienen, wann die Zeitreif ist für eine neue Königin. Im Imkerbetrieb ist es der Imker, der die Königinnen heranzüchtet.

Eine Larve wird in eine Weiselzelle gesetzt und von den Arbeiterinnen mit Gelée Royale gefüttert. Dieser von den Bienen produzierte Saft lässt die Larve zu einer überdurchschnittlichen Grösse heranwachsen und macht sie fruchtbar. Gewöhnliche Arbeiterbienen sind unfruchtbar. Nach dem Schlüpfen wird die Königin innert vier Tagen geschlechtsreif und begibt sich auf Begattungsflug. Nach zwei bis drei Wochen legt sie die ersten Eier. 

Fleissige Bienen bei der Arbeit. 

Angst vor bösen Bienen

Mit den Bienen ist Hummel aufgewachsen. Bereits als Kind half er der Grossmutter und dem Vater beim Imkern. Angst habe er, wenn dann nur vor den «böseren» Bienen gehabt. Mittels Auslese könnten diese Eigenschaften aber weggezüchtet werden.

Als Severin Hummel 13 Jahre alt war, verstarb sein Vater. Die um die 100 Bienenvölker gingen auf ihn und seinen Bruder über. «Es hiess dann, Verantwortung zu übernehmen. Die Verantwortung gegenüber dem Tier», sagt Hummel. Der Grossvater mütterlicherseits griff den Brüdern unter die Arme, half, wo er konnte, während die Brüder die Lehre machten. Jahre später, als dem Grossvater die Kraft für die eigenen Bienenvölker ausgeht, hilft ihm Hummel mit den Bienen.

«Nur mit der Ruhe kann ein Imker arbeiten, wie er sollte. Sonst wird er von den Bienen zurechtgewiesen.»
Severin Hummel

Bis zu 7000 Kilo Honig

Aus der vererbten Verantwortung wurde für Hummel mit den Jahren ein Mittel zur Selbstverwirklichung. «Beim Imkern kann ich die Ruhe finden. Ich kann alles vergessen. Wie Meditation», sagt er. «Nur mit der Ruhe kann ein Imker arbeiten, wie er sollte. Sonst wird er von den Bienen zurechtgewiesen.» Mittlerweile bewirtschaftet er über 500 Bienenvölker. Daraus gehen im Jahr zwischen 2000 und 7000 Kilo Honig hervor. Je nach Witterungsverhältnissen. 2011 war mit einer besonders guten Früh- und Waldtracht bisher sein Rekordjahr. Dieses Jahr sehe es aufgrund des Kälteeinzugs Anfang Mai eher weniger gut aus, so Hummel.

Doch seine grösste Einnahmequelle ist nicht der Honig, sondern die externen Aufträge. Er züchtet und verkauft Königinnen sowie Jungvölker an andere Imker. Pro Bienenvolk muss er mit Kosten von bis zu 1000 Franken rechnen. 250 für die Bienen, 500 für die Beute und das restliche Geld für Infrastruktur und Arbeit. Wer imkern wolle, brauche vor allem eines: Fleiss und Konstanz über Jahre hinweg. «Hat man dies, wird man auch belohnt.»

Am Brutrahmen befestigt Hummel die neue Bienenkönigin. Innert Stunden wird diese schlüpfen und ihr neues Volk kennenlernen. 

Info

Er ist Herr über 500 Bienenvölker

Der gebürtige Chnuteler Severin Hummel ist 41 Jahre alt und wohnt in Triengen. In seiner Imkerei in Knutwil bewirtschaftet er über 500 Bienenvölker. Über die Frühlings- und Sommermonate ist er mit seinen Bienenunter anderem im Jura, Tessin, Untertrübsee, Unteralp und auf der Oberalp anzutreffen. Dadurch entstehen die verschiedenen Honigsorten. Hauptberuflich ist er seit 15 Jahren als Käsermeister bei der Emmi in Dagmersellen tätig. Nebst Imker und Käser ist er Betriebskontrolleur und Zuchtberater für das Gold- und Siegelprogramm. Das Siegel von Apisuisse, dem Dachverband der schweizerischen Bienenzüchtervereine, stellt die Qualität und schonende Verarbeitung von Honig sicher.

 

 

 

Schmerzt das Imkerherz, wenn nach einer Biene geschlagen wird? Honig ist zwar zuckerhaltig, aber auch gesund? Severin Hummel beantwortete geduldig die «Fragen an einen Imker».

Fast schon Haustiere? Zwischen ihm und den Bienen bestehe eine emotionale Beziehung, so Hummel. Die Tiere liegen ihm am Herzen. «Der Bienenfleiss und Einigkeit seien uns ein Vorbild alle Zeit», pflegte sein Grossvater etwa zu sagen. Ein Spruch, der sich eingebrannt hat. «Wenn die Menschen mehr auf diese Weise handeln würden, hätten wir weniger Probleme», ist er sich sicher.

Es schmerzt das Imkerherz. Hummel verurteilt nicht, wer beim Essen nach einer Biene schlägt. «Man sollte aber nicht mutwillig Bienen töten», sagt er. Am Ende sei das Verhältnis, was zähle. Eine Biene lebe 30 bis 40 Tage. «Das Volk hat nur als Ganzes einen Wert. Das Einzeltier funktioniert nicht. Wie bei unserem Staat. Das Ganze funktioniert, der Einzelne muss etwas dazu beitragen, dass es funktioniert.»

Süsses Heilmittel. Wunden behandelt Hummel mit Honig. «Der Honig zersetzt sich auf der Wunde, so entsteht Wasserstoff. Dieser tötet Bakterien», so Hummel. Der zuckerhaltige Honig erzeuge osmotischen Druck, der den Bakterien zusätzlich Wasser entziehe. Die Bakterien könnten so keinenStoffwechsel betreiben. In der Medizin wird ausschliesslich nicht konsumierbarer medizinischer Honig zur Wundbehandlung verwendet.

Vorsicht, Fälschung!  Als besonders gesund und wertvoll gilt der Manukahonig aus neuseeländischen Teebäumen. Pro Kilo kostet er 150 bis200 Franken. «Es ist mehr Manukahonig auf dem Markt, als produziert werden kann», warnt Hummel. Zu herkömmlichem Honig gebe es nicht viele Nachforschungen. Hummel ist aber überzeugt, dass Rapshonig an eine ähnliche antiseptische Wirkung herankomme.

Chnuteler Bienen. In seiner Imkerei züchtet Hummel Carnica-, Buckfast und Nigrabienen. Die Nigra sei eine alteinheimische Rasse, deren Ursprungsvolk aus Knutwil stamme. Gezüchtet worden sei sie damals von Fidel Krähenbühl um 1880 bis 1906.

Wenn Bienen kränkeln. Bösartige amerikanische oder auch europäische Faulbrut (oft auch Sauerbrut genannt), Varroatose oder Paralyse-Virus. Dies sind häufige Krankheiten, die ein Bienenvolk erleiden kann. 

Cremig oder flüssig? Cremehonig entsteht aus demselben Ausgangsprodukt wie flüssiger Honig. «Es steckt ein rein physikalischer Prozess dahinter», so Hummel. Durch das Rühren des Honigs wird die Kristallisation ausgelöst. «Kristalle bilden sich zusammen, werden wieder auseinandergerissen und verkleinern sich dadurch.» Durch die feine Kristallstruktur bleibt der Honig streichfähig. 

Ein Imker, der Hummel heisst. Mit Nachnamen Hummel zu heissen, ist etwas Besonderes für Severin Hummel. Die Hummeln seien schliesslich die nächsten Verwandten der Bienen. Und sie sind ebenfalls Vegetarier. Dagegen sind Wespen und Hornissen, die in dieselbe Familie gehören, Fleischfresser. Sie fressen Insekten und manchmal auch Bienen. 


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