Luitgardis Sonderegger mit Labrador Hündin Leslie. (Foto Livia Kurmann)
Luitgardis Sonderegger mit Labrador Hündin Leslie. (Foto Livia Kurmann)
19.06.2022

Sie heiratete jemanden vom «falschen» Lager

von Livia Kurmann

Luitgardis Sonderegger war anno dazumal die erste Frau in der Geschäftsleitung der FDP Sursee. Eine Zeit, aus der die Sozialvorsteherin von Oberkirch viele Lehren ziehen konnte.

Luitgardis Sonderegger sagt, was sie denkt. Ehrlich und geradeheraus. Wer die Sozialvorsteherin aus Oberkirch einmal getroffen hat, kennt ihre offene und dynamische Art. Als jüngste von sieben Geschwistern – vier Schwestern, zwei Brüder – lernte sie früh sich durchzuschlagen. Den Mund aufzumachen, wenn am Familientisch wieder einmal politisiert wurde. Die Müllers aus Knutwil sind ein erzliberales Haus. Über Generationen hinweg wählte die Familie väterlicherseits streng die FDP bis auf Luitgardis’ Vater, der CVP wählte.

Auch die Mutter politisierte immer stark. Zitierte gerne aus der alten Bundesverfassung. So störte es sie ungemein, dass nach der Verfassung Frauen genauso wie Strafgefangene und Bevormundete, vom aktiven Stimmrecht ausgeschlossen waren. Obwohl die Frauen im Krieg so viel auf sich nehmen mussten, wie sie pflegte zu sagen. Das Thema Emanzipation war sehr präsent in der Familie, wie Luitgardis schildert. «Wir arbeiteten gleichviel wie unser Bruder. Draussen auf dem Feld herrschte Gleichberechtigung», erinnert sie sich. «Der einzige Unterschied war, dass wir Mädchen auch drinnen mit anpacken mussten.»

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«Mit der Zeit merkte ich dann, dass die Männer nicht alles besser wussten, sondern dass man etwas einfach nur fest genug behaupten muss.»
Luitgardis Sonderegger

Sich Gehör verschaffen

Die Familientradition führte Luitgardis Sonderegger fort, indem sie als junge Frau den Jungliberalen beitrat und In der Geschäftsleitung, ein damals männerdominiertes Feld, war Luitgardis mit Abstand die Jüngste. «Ich hatte anfänglich viel Respekt und Ehrfurcht vor dem Wissen dieser Männer. Sie wussten immer alles so genau», erinnert sie sich. Sie selber sei anfangs eher zaghaft gewesen, hinterfragte oft ihre eigenen Kenntnisse. «Mit der Zeit merkte ich dann, dass die Männer nicht alles besser wussten, sondern dass man etwas einfach nur fest genug behaupten muss», so die Sozialvorsteherin schmunzelnd. In der Geschäftsleitung habe sie gelernt sich Gehör zu verschaffen. Hinzustehen und zu sagen, was Sache ist. Sie hebt einen Finger: «Wichtig ist aber auch die Grösse zu haben einzugestehen, wenn man einmal daneben liegt.»

Sursee kriegte Gebührensack

In der FDP Sursee brachte sie in den 80er-Jahren verschiedene Projekte ins Rollen. Unter anderem initiierte sie eine Kommission zur Überarbeitung des Kehrichtreglements. Unter ihrem Kommissionspräsidium wurde schliesslich das Kehrichtsacksystems eingeführt. Als 3. Gemeinde der Schweiz führte Sursee den Gebührensack ein. Ein damals recht umstrittenes Thema in der Bevölkerung. Üblich war, dass die Abfallgebühren auf die Grundfläche der Immobilie oder den Wasserverbrauch berechnet wurden. Die Gemeindeversammlung stimmte dem neuen Reglement zu.

Ebenfalls hart gearbeitet hat Luitgardis für den Antrag zur Gründung einer Jugendkommission in Sursee. Der Aufwand lohnte sich, der Antrag kam durch. Als es dann darum ging, wer in der Kommission als Parteivertreter Einsatz nehmen sollte, schlug die Partei nicht sie vor, sondern einen Mann. «Es gibt verschiedene Möglichkeiten der Reaktion. Entweder man zieht sich zurück oder aber man zieht daraus eine Lehre und sagt sich, das ist das letzte Mal, dass mir das passiert. Zukünftig stehe ich hin und sage deutlich, wenn ich etwas will.»

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Ein Hauch von Grün

Das Politisieren gefiel der jungen Primarlehrerin. Sie war Wahlbegleiterin bei Kantonsrats- und Nationalratswahlen, begleitete damals auch Kaspar Villiger. Schliesslich entschied sie sich 1987 selber für den Kantonsrat – damals Grossrat – zu kandidieren. Sie und Alice Wey aus Rickenbach waren die einzigen Kandidatinnen auf der liberalen Liste im Amt Sursee. «Mir wurde aufgrund des Kehrrichtreglements und der Leitung von Pro Sempachersee ein Hauch von Grün angehaftet. Das war vielen suspekt», erinnert sie sich.

Doch dieser «grüne Hauch» war am Ende nicht ausschlaggebend für ihre Nicht-Wahl. An einer Abendveranstaltung in Neuenkirch tanzte sie mit einem Politiker, der ihr klipp und klar sagte: «Du weisst schon, dass du nicht gewählt wirst? Mittlerweile weiss es das ganze Amt. Du hast eine Beziehung zu einem CVP-Grossrat.» Für viele Politiker bedeutete eine Beziehung mit jemandem aus dem anderen Lager: Nicht wählbar. «Es spielte keine Rolle, dass ich mich zehn Jahre für die FDP eingesetzt hatte. Für viele war klar, dass das nicht geht.»

«Dann muss ich mir überlegen, ob ich zu einer Partei gehören will, die denkt, dass wenn eine Frau den goldenen Ring anlegt, sie das Hirn ablegt.»
  

Ring anlegen, Hirn ablegen

1989 heiratete Luitgardis den CVP-Grossrat Marcel Sonderegger. Mit ihrem Umzug von Sursee nach Nottwil war vorgesehen auch die Ortspartei zu wechseln. Doch trotz eines Schreibens der FDP Sursee meldete sich niemand von der FDP Nottwil bei ihr. Als sie den damaligen Parteipräsidenten persönlich auf die Funkstille ansprach, meinte dieser, dass der Parteivorstand befunden habe, dass sie nicht vertrauenswürdig sei, da sie mit einem CVP-Mann verheiratet sei. Luitgardis’ Antwort: «Dann muss ich mir überlegen, ob ich zu einer Partei gehören will, die denkt, dass wenn eine Frau den goldenen Ring anlegt, sie das Hirn ablegt.»

Auffällig war, wie ihr Mann regelmässig Schulterklopfer erntete, er habe eine Liberale gedreht, sie dagegen immer wieder gefragt wurde, wo sie denn nun politisch stehe. Heute kann Luitgardis darüber lachen. Schmunzelnd sagt sie: «Niemand kam je auf die Idee, dass ich nicht vielleicht meinen Mann zu einem Wechsel in die FDP bewegt haben könnte.»

14 Jahre Direktorin

Luitgardis ging nach Zürich und arbeitete dort als Beauftragte für Umwelt für einen Industrieverband. Eine Stelle, die es vorher noch nicht gab und die es zu festigen galt. «Was ich an der Zürich-Zeit am meisten geschätzt habe: Niemand kannte meinen Mann und meine Familie. Meine Geschichte. Es zählte nur, was ich leistete», so Luitgardis. In Zürich habe nie ein Mann zu ihr gesagt: «Weisst du, man könnte es auch mit Charme sagen.» Einen Satz, den sich Luitgardis mehrmals im Leben hat anhören müssen, wenn sie ihre Meinung kundtat. «Meine Antwort lautete jeweils: Entweder habe ich ein Argument oder ich habe keins. Wenn ich ein gutes Argument habe, habe ich den Charme nicht nötig. Und wenn ich keines habe, ebenfalls nicht.»

Später übernahm Luitgardis die Geschäftsleitung der Aphasie Suisse, dem Deutschschweizer Logopädinnen- und Logopädenverband und wurde zusätzlich Spitex-Kantonalpräsidentin. ab. Von 2005 bis 2019 war sie Direktorin der Rodtegg, Stiftung für Menschen mit körperlicher Behinderung.

Menschensuche im Wald

2020 nach ihrer Pension kehrte Luitgardis Sonderegger dahin zurück, wo es sie immer schon hingezogen hat. In die Politik. Als Sozialvorsteherin von Oberkirch kann sie all ihre beruflichen Erfahrungen, die sie über die Jahre gesammelt hat, einbringen. «Ich weiss nicht, wem zwischen Himmel und Erde ich danken muss, dass ich so eine Chance nach der Pensionierung noch erhalten habe», freut sie sich. Die Aufgabe fordere sie intellektuell heraus, etwas, das sie immer schon brauchte. So korrigiert sie beispielsweise liebend gerne Diplomarbeiten. Ihre grosse Passion neben Kochen ist der Hundesport mit Labrador Hündin Leslie. Leslie beherrscht sämtliche Tricks und ist geübt in «Mantrailing» – Menschensuche. Und einmal in der Woche besucht die Politikerin mit ihrer Hündin in einem Pflegezentrum.


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