Für Armin Hartmann ist loslassen kein Problem, trotzdem wird der Rücktritt aus dem Gemeinderat ein Bruch sein. (Foto Fabian Zumbühl)
Für Armin Hartmann ist loslassen kein Problem, trotzdem wird der Rücktritt aus dem Gemeinderat ein Bruch sein. (Foto Fabian Zumbühl)
31.12.2019

«Es braucht immer ein Team»

von Thomas Stillhart

Die Silvesternacht beendet die 15,5-jährige Ära von Gemeindeammann Armin Hartmann. Der 42-jährige Schlierbacher prägte die Entwicklung der Gemeinde massgeblich. Er blickt im Interview zurück. 

Armin Hartmann, verlassen Sie an Silvester das Amt des Gemeindeammanns von Schlierbach nach 15,5 Jahren mit Wehmut oder erleichtert?

Es ist beides und irgendwie weder noch. Ich wusste immer, dass es zu Ende geht und richtig ist. Loszulassen ist kein Problem, aber trotzdem wird es ein Bruch sein, denn diesen Job übe ich auch heute noch mit grosser Freude aus.

Sie überraschten viele, dass Sie nun in die Gemeindeverwaltung wechseln und die fast gleiche Arbeit wie als Gemeindeammann ausüben. Wir kam das?

Wir wollten die Verwaltung bereits seit längerer Zeit umbauen und den Gemeinderat mehr strategisch ausrichten. Dieses Amt auf der Verwaltung suchte ich nicht, doch war man der Meinung, der Übergang werde dadurch erleichtert und mein Knowhow gehe nicht verloren. Zudem wussten alle, dass es schwierig wird, wieder jemand zu finden, der ein 50 Prozent Pensum leisten kann. Ich bin bereit, zu helfen, wenn man das will, gab aber zu bedenken, dass ich dieser Tätigkeit nicht ein Leben lang nachgehen werde.

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Das klingt nach einer Übergangsphase.

Die Anstellung ist grundsätzlich unbefristet. Ich plane für die nächsten drei, vier Jahre. Irgendeinmal wird der Tag kommen, an dem ich mich für etwas Anderes entscheiden werde.

2004, als Sie jüngster Gemeindeammann im Kanton wurden, hatte Schlierbach einen Steuersatz von 2.4 Einheiten und eine Fusion mit Büron stand zur Debatte. Was packten Sie als Erstes an?

Damals war allen klar war, dass die bisherige Strategie geändert werden musste. Diese Situation war nicht die Schuld der bisherigen Verantwortungsträger, sondern unter anderem eine Folge eines falschen Systems mit dem alten Finanzausgleich. Ich versuchte, die Strategie zu ändern, analysierte die Struktur der Rechnung. Weil wir klein sind, wirken Neuzuzüger wie ein grosser Hebel, war eine Erkenntnis. Anders gesagt: Wenn wir die Steuern gering senken, brauchen wir wenige Neuzuzüger, um das zu kompensieren.

«Wenn Schlierbach fusionieren müsste, würden wir den Anschluss an Sursee prüfen. »
Armin Hartmann

Und weiter?

Die Bereitschaft von Leuten, Land zur Verfügung zu stellen, um einzuzonen, unterstützte die Strategie. Das daraus folgende Wachstum stärkte uns strukturell und entlastete unsere Kassen. Wir nahmen die Kosten unter die Lupe, gingen vorsichtig mit dem Geld um. Weiter beinhaltete das Schlierbacher Modell tiefere Steuern. All das wirkte sehr gut, denn wir erzielten relativ schnell ein schönes Wachstum.

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Viele Gemeinden wuchsen und kamen aber finanziell nicht aus dem Schneider. Was lief in Schlierbach besser oder anders?

Wir begleiteten diese Entwicklung mit sauberen Planungsinstrumenten und investierten sehr viel Energie in eine gute Ortsplanung und in gute Richtpläne. Wir klärten auch die Eigentumsrechte systematisch. Viele solche Sachen erscheinen auf den ersten Blick zweitrangig, aber sie klärten die Spielregeln so dass jeder wusste, was ihm gehört und wer zu was Sorge halten muss. Das hat gewaltig viel gebracht.

Wer leistete diese Arbeit?

Der Gemeinderat. Wir verwendeten viele Stunden, um zum Beispiel Genossenschaften zu gründen und Gespräche zu führen. Gleichzeitig mussten wir die Kosten im Griff behalten. Wenn ich unsere Kosten mit anderen Gemeinden vergleiche, stehen wir sehr gut da.

«Schlierbach wird heute wahrgenommen. Das sehe ich an den Leuten, die Interesse zeigen, zu uns zu ziehen.»
Armin Hartmann

Wie schaffen Sie das?

Wir «jagten» die Kosten und schufen schlanke Strukturen. Einige sprachen von Wünschen, andere von Bedürfnissen und die Dritten von Staatsaufgaben. Alle meinten dasselbe.

Wo steht nun die Gemeinde Schlierbach?

Wir haben die Mittel und die Strukturen, um beispielsweise eine Immobilienstrategie zu formulieren und umzusetzen. Wir können die Tagesstrukturen ausbauen und auf der Leistungsseite wirklich zur Vorzeigegemeinde werden. Vor 15 Jahren fehlte uns dazu schlicht das Geld.

Geben Sie jetzt kurz vor Ihrem Rücktritt das Geld wieder aus, das Sie 15,5 Jahre sparten?

Nein, wir müssen immer genau hinschauen und erkennen, was einen direkten Mehrwert bringt und was nicht. Der Gemeinderat bewertet die Tagesstrukturen als eine wichtige Geschichte – auch für die Vermarktung der Gemeinden. Zudem steuern der Kanton und der Bund mehr bei als früher. Man muss immer schauen, wo holt man vom Franken am meisten raus.

Kann Schlierbach heute als moderne Gemeinde bezeichnet werden?

Ich würde schon sagen. Schlierbach wird heute wahrgenommen. Das sehe ich an den Leuten, die Interesse zeigen, zu uns zu ziehen. Die Lage hat sich eher verbessert: Wir sind sehr schnell auf der Autobahn und haben einen besseren öV.

Was ist für Sie eine moderne Gemeinde?

Eine Gemeinde ist modern, wenn sie sich entwickelt, einen modernen Auftritt hat und der Bevölkerung einen Service bietet. Gleichzeitig, und das unterscheidet uns vielleicht von anderen modernen Gemeinden, sind uns klassische Werte wichtig. Wenn ein Verein ein Fest organisiert, kommen alle. Diese spezielle Fähigkeit wollen wir erhalten.

2004 zählte Schlierbach 595 Einwohner, heute 920. Wird das wachsende Dorf anonymer?

Dieses Problem kennen wir in Schlierbach weniger. Mit einer Grösse von 920 ist die Integration immer noch problemlos möglich.

Im Verlaufe Ihrer Amtszeit führten Sie Begriffe wie Planungsbericht oder Immobilienstrategie ein. Wie schafften Sie es, dies den Bürgern näher zu bringen?

Der erste Planungsbericht Immobilienstrategie war ein Versuchsballon, um zu schauen, wie die Bürger damit umgehen. Daraus entstand eine viereinhalbstündige, sehr gute Debatte. Schön war, es ging weder um einen Entscheid noch um einen Kredit, aber der Gemeinderat konnte aus der Diskussion lernen, in welche Richtung er gehen sollte.

«Da Schlierbach das Messer am Hals hatte, konnten wir uns keine Parteipolitik mehr leisten.»
Armin Hartmann

Welchen Einfluss hatte die Gründung der IG Schlierbach auf die Entwicklung?

Sie leistete einen grossen Beitrag, weil sie im Prinzip immer dort Brücken schlug, wo es drohte, parteipolitisch zu werden. Da Schlierbach das Messer am Hals hatte, konnten wir uns keine Parteipolitik mehr leisten. Vor allem in den Anfangsjahren spürte der Gemeinderat eine riesige Bereitschaft, dass alle am Karren ziehen wollten. Ich versuchte, immer gut zu erklären. Dabei ist es wichtiger, wie man etwas sagt, als was man sagt. So schafften wir es, grosse Reformen durchzubringen, was wenige Jahre zuvor fast undenkbar schien.

Geben Sie ein Beispiel.

Die Fusion der Wasserversorgungen wäre undenkbar gewesen. Das ist etwas ganz Grossartiges, was wir da erreichten.

Wie reagierten Sie auf Kritik?

Auch wenn ich an den Gemeindeversammlungen richtig «grilliert» wurde, versuchte ich immer, total ruhig zu bleiben, was die Bürger schätzen lernten. Zudem legten wir viel Gewicht auf eine umfassende Botschaft zu den Gemeindeversammlungen, die an alle Haushaltungen verschickt wird.

Das ist genau das Gegenteil, was andere Gemeinden machten. Nur noch online ist die ganze Botschaft zu lesen.

Für mich war die Botschaft immer ein riesiger Wert, wenn jemand behauptete, wir hätten schlecht kommuniziert, oder das komme aus heiteren Himmel. In solchen Fällen konnten wir auf die Botschaft verweisen. Sie ist wahnsinnig wertvoll auch als Rechenschaft darüber, was wir leisteten und was wir planten. Ich würde das jeder Gemeinde so empfehlen.

Die grosse Denk- und Strategiearbeit leisteten Sie in den ersten zwei Amtszeiten.

Ja, in der zweiten Hälfte konnten wir fein justieren und mit der Schulhauserweiterung, mit dem Dorfplatz und mit dem Dorfladen gestalterische Akzente setzen.

Wie überzeugten Sie die beiden Gemeinderatskollegen, die Steuern von 2.4 auf 1.75 zu senken?

Wir senkten die Steuern in drei Schritten. Selbstverständlich gab es dazu Diskussionen. Ich zeigte im Rahmen der Jahresergebnisse, welche Reserven wir haben, und dass die Strategie erfolgversprechend ist. Das Paket moderne Wohngemeinde, gute Strukturen, gute Dienstleistungen, tiefe Kosten zog.

«Ich bin überzeugt, dass das neue Gremium es schafft, alle Parteien mitzunehmen und die Gemeinde in eine gute Zukunft zu führen.»
Armin Hartmann

Wie wichtig war Ihre Partei bei ihrer Arbeit als Gemeindeammann?

Parteipolitik spielte keine grosse Rolle, weil alle drei organisierten Parteien im Gemeinderat einbezogen waren. Böse Zungen behaupten vielleicht, die Parteien liessen den Gemeinderat einfach machen, wir klärten sie aber bei den jährlichen Parteiengesprächen immer über unsere Arbeit auf.

Und jetzt ist die SVP ab Neujahr nicht mehr im Gemeinderat eingebunden. Wird das Konsequenzen haben?

Die SVP unterstützte die Kandidatur meines Nachfolgers als parteiloser Kandidat. Ich bin überzeugt, dass das neue Gremium es schafft, alle Parteien mitzunehmen und die Gemeinde in eine gute Zukunft zu führen.

Welchen Teil der Arbeit als Gemeindeammann gefiel Ihnen besonders?

Verschiedene Aspekte der Politik gefallen mir. Ich habe sehr gerne Menschen. Auch solche mit Ecken und Kanten. Gleichzeitig mochte ich, dass ich sehr viel gestalten konnte und mir auch gewisse Freiheiten gewährt wurden. Auch für meine persönliche Entwicklung haben die teils heftigen Diskussionen an den Gemeindeversammlungen, wenn ich so richtig «auseinander genommen» wurde, sehr viel gebracht. Die Finanzen bereiteten mir natürlich besonders Freude.

Einige setzen Schlierbach mit Hartmann gleich. Zu hören ist auch, die guten Jahre seien vorbei, jetzt gehe er.

Schlierbach hat eine gute Struktur und gute Voraussetzungen, dass die Gemeinde auch in Zukunft erfolgreich bleibt. Jeder ist ersetzbar. Meine Nachfolge macht es nicht gleich wie ich, was sie auch nicht muss. Das neue Team wird diejenigen Lügen strafen, die das behaupten. Ich bin sehr optimistisch und überzeugt, dass es gut kommt.

So einfach?

Selbstverständlich muss man für den Erfolg arbeiten und er ist nicht in Stein gemeisselt. Schlierbach ist immer noch eine Kleingemeinde. Wie es ihnen in Zukunft gehen wird, entscheidet sich auch an anderen Orten, was wir immer offen kommunizierten. Wir legten den schriftlich festgehaltenen Plan offen, was passiert, wenn der Tag kommt, an dem Schlierbach nicht mehr kann. Wenn Schlierbach fusionieren müsste, würden wir den Anschluss an Sursee prüfen.

Warum mit der Stadt Sursee?

Weil wir an dem Tag, an dem eine Gemeinde wie Schlierbach keine Daseinsberechtigung mehr hat, wahrscheinlich einen grossen Schritt gehen müssen. Wir müssten uns dem stärksten Zentrum anschliessen.

«Ich spürte immer eine riesige Loyalität, was sehr wichtig und ein Schlüssel zum Erfolg war.»
Armin Hartmann

Schlierbach ist Hartmann. Dazu sagten Sie noch nichts.

Diese Personifizierung ist nicht wirklich fundiert. Es braucht immer ein Team. Manchmal gehört es aber dazu, dass jemand vorne die Show macht und die Fahne hoch hält. Wenn aber niemand hinter ihm steht, funktioniert es überhaupt nicht. Ich spürte immer eine riesige Loyalität, was sehr wichtig und ein Schlüssel zum Erfolg war.

Dass Sie in den vergangenen Jahren den Gemeinderat dominierten, war offensichtlich.

Der Gemeindeammann deckt mit dem grössten Pensum relativ viel ab. Meine Ausbildung und meine Erfahrungen im Kantonsrat haben sicher einiges erleichtert, so dass ich gewisse Aufgaben übernahm. Vielleicht war es ein Schwachpunkt im System, denn der Gemeindeammann war immer anfällig, als Dorfkönig zu gelten. Das korrigieren wir jetzt.

Wohin geht die Reise von Armin Hartmann?

Eine politische Karriere kann man nicht planen. Das ist das Erste. Zweitens werden in den nächsten Jahren sicher spannende Ämter frei. Ich könnte mir vorstellen, dass ich mich zur Verfügung stelle.

Was wünschen Sie sich für 2020?

Dass dieser Bruch gut über die Bühne geht, ich in der neuen Rolle auf der Gemeinde gut ankomme und ich weiterhin meine Aufgabe mit Leidenschaft wahrnehmen kann. Ich bin optimistisch, dass ich eine gute Zusammenarbeit mit meinem Nachfolger pflege.

Info

AFR18 – genau hinsehen

Armin Hartmann gilt als Vater der Aufgaben- und Finanzreform AFR18. Einige Gemeinden – namentlich Mauensee, Schenkon und Sursee in der Region – kritisierten sie vehement, unter anderem, weil sie ihnen hohe Defizite im Budget 2020 bescherte. Bei solchen Gemeinden müsse man sehr genau hinschauen und analysieren, wenn die Rechnungen vorliegen würden, bleibt Armin Hartmann gelassen. Gegebenenfalls seien auch Gegenmassnahmen zu ergreifen, denn bei einer solch grossen Reform könne es am Anfang holpern. Ein Schnellschuss wäre jedoch falsch, es brauche Geduld. Armin Hartmann betont aber: «Die Ergebnisse der Budgets 2020 sind gemäss Erhebungen des Kantons vergleichbar mit denjenigen aus dem Vorjahr.» Er vermutet, dass die Gemeinden wegen der Unsicherheit durch die AFR18 vorsichtig budgetierten, was er auch als richtig einstuft.


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